Auswanderung - Lob deutscher Bildung
AuswanderungLob deutscher Bildung
Von Bernhard Bueb
17. Oktober 2005 Deutsche Prinzessinnen waren im 18. und 19. Jahrhundert begehrte Bräute ausländischer Könige und Fürsten, weil sie bereit waren, sich den Sitten und Gebräuchen ihres Gastlandes zu unterwerfen und die Sprache ihres neuen Heimatlandes perfekt zu erlernen.
Diese Einstellung der Prinzessinnen ist eines der Symptome, die unser unausgeprägtes Selbstwertgefühl widerspiegeln, unsere eher ungefestigte und uneindeutige Identität als Deutsche schon vor der Katastrophe des Nationalsozialismus. Das Einende der Deutschen waren Kultur und Sprache, aber erst sehr spät das Selbstbewußtsein einer politisch geeinten Nation.
Wir stilisieren unsere Schwäche als Stärke
Die Übertreibungen des Nationalgefühls im Kaiserreich und die exzessive Glorifizierung Deutschlands durch den Nationalsozialismus bestätigten die Schwäche unserer nationalen Identität. Die Verbrechen des Nationalsozialismus im Namen des deutschen Volkes haben dem schwachen Nationalgefühl den Todesstoß versetzt.
Wir Deutschen machen inzwischen aus der Not eine Tugend und geben uns als Europäer, als Vorreiter einer multikulturellen Gesellschaft und stilisieren unsere Schwäche zur Stärke. Das führt aber zu Wirkungen, die einen bedenklich stimmen. Die sprichwörtliche britische Redensart "the grass is always greener on the other side of the fence" klingt wie in Deutschland erfunden. Es gibt in unserem Land eine breite Bewegung der gebildeten Schichten, Schulen und Hochschulen vor allem in angelsächsischen Ländern höher zu schätzen als vergleichbare deutsche Einrichtungen.
Ein Studium in Harvard, Stanford oder Cambridge trägt dem Absolventen dieser Hochschulen einen Nimbus ein, den eine deutsche Universität nicht bieten kann, ohne daß in jedem Fall nachgewiesen ist, daß das Studium in einer der Eliteuniversitäten besser für den Beruf qualifiziert als ein Studium in Deutschland. Eine Bestätigung der guten Bildung in Deutschland sind außerdem die vielen an deutschen Universitäten ausgebildeten Professoren und Dozenten, die mit offenen Armen an amerikanischen Eliteuniversitäten empfangen werden.
Exzessives Maß der Selbstkritik in Deutschland
Seit etwa fünfzehn Jahren pilgern jährlich Tausende deutscher Gymnasiasten in Internate nach Großbritannien und Amerika. Sie berichten von ihren Erfahrungen, als wenn ihnen höhere pädagogische Weihen zuteil geworden seien. Dabei verwechseln sie ihre neuen Erfahrungen im Internat, vor allem die persönlichere Zuwendung der Lehrer, mit britischer Bildung. An britischen Staatsschulen würden sie schnell eines Besseren belehrt.
Bildungspolitiker und Bildungswissenschaftler entdecken nach den Schrecken der Pisa-Studie Finnland und Schweden als das neue Mekka schulischer Theorie und Praxis. Keiner anderen Nation wäre eingefallen, jenseits der Grenzen nach einer besseren Praxis zu suchen, weil man nicht in dem exzessiven Maße selbstkritisch reagiert hat, wie wir Deutschen es getan haben; und weil der Stolz einem Franzosen beispielsweise verbieten würde, Bildung und Erziehung in Deutschland oder England besser zu finden als zu Hause.
Warum denn in die Ferne?
Unsere deutschen Bildungseinrichtungen sind besser als ihr Ruf. Es gibt Fakultäten und Hochschulen in Deutschland, die den Vergleich mit angelsächsischen Eliteuniversitäten nicht scheuen müssen. Ein öffentlich gehandeltes Beispiel ist die TU München, die in einem Atemzug mit dem MIT in den Vereinigten Staaten oder dem Imperial College in London genannt wird. Die Mehrzahl der deutschen Eliten in Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft, Verwaltung und im Rechtswesen hat ihr Hauptstudium in Deutschland absolviert. Natürlich ist jedem zu raten, einige Semester im Ausland zu studieren. Der kluge Rat kann aber nicht lauten, das ganze Studium ins Ausland zu verlegen.
Das gilt noch mehr für die Schule. Ein halbes oder auch ganzes Jahr in Frankreich, England oder Amerika die Schule zu besuchen führt junge Menschen zu neuen Horizonten und Erfahrungen. Wenn Eltern aber das Heil ihrer Kinder darin suchen, sie ihre gesamte Oberstufe in angelsächsischen Internaten absolvieren zu lassen, muß man fragen, ob sie ihren Kindern wirklich etwas Gutes tun. Wenn junge Menschen schon so früh in einer solch anderen Kultur aufwachsen, besteht die Gefahr, daß die fremde Kultur die schwächere deutsche dominiert und die jungen Menschen ihrer Heimat entfremdet. Die Konsequenz ist dann das anschließende Studium im Gastland und eine Neigung, sein Leben dort ganz einzurichten.
Wenn deutsche Schüler in England oder in den Vereinigten Staaten die letzten Jahre ihrer Schulzeit verbringen, lesen sie nicht nur primär die Stücke Shakespeares und anderer angelsächsischer Autoren statt Wallenstein und Faust; sie interpretieren auch deutsche Kultur und Geschichte unter dem Blickwinkel ihres Gastlandes. Sie werden die Dominanz des Nationalsozialismus im Geschichtsbild der Amerikaner und Engländer erleben und sich deren Weltbild zu eigen machen und werden versäumen, sich als Deutsche mit dieser Episode nationaler Geschichte auseinanderzusetzen. Die Episoden unserer Geschichte, auf die wir stolz sein können, treten gar nicht mehr in ihr Blickfeld.
Luther, Goethe - ist das nichts?
Gegen diese Argumente führen Eltern den hohen Wert ins Feld, die englische Sprache perfekt zu beherrschen. Man vergißt aber, wie wichtig die letzten Jahre der Schule sind, um sich in der eigenen deutschen Sprache zu perfektionieren. Wer sich in der eigenen Sprache nicht unter dem höheren Anspruch der gymnasialen Oberstufe übt, wird sprachärmer in das Studium eintreten. Wer dagegen gelernt hat, an der eigenen Sprache wie an einer Bildsäule zu arbeiten, dem wird sich die Welt neu erschließen. Man setze den Wert, sich im Deutschen elegant und differenziert zu bewegen, gegen den Wert, das Englische noch fließender zu sprechen. Wer die eigene Sprache durch vollkommenere Beherrschung als Instrument des Verstehens entdeckt, stärkt sein Selbstwertgefühl als Deutscher.
Wir blicken auf eine große Tradition deutscher Literatur, Philosophie, Theologie, Theaterkultur und Wissenschaftsgeschichte zurück, die wir in der Oberstufe des Gymnasiums immer noch lehren, wir bieten eine breitere Allgemeinbildung als angelsächsische Schulen, wir sind Weltmeister im Erlernen fremder Sprachen, die Schule erfüllt auch heute den Auftrag, die Liebe zur deutschen Sprache zu wecken - zu einer Sprache, die unsere eigenwillige deutsche Wesensart spiegelt.
Frei und selbstbewußt in der eigenen Sprache bewegen
Wenn wir uns als Deutsche immer schon kritisch gesehen haben - man lese erneut die Deutschenschelte in Hölderlins "Hyperion" oder spüre dem Leiden Heines am deutschen Wesen in seinen Schriften nach -, besitzen wir trotz allem eine unvergleichliche Kultur und Geschichte, die durch den Nationalsozialismus nicht zerstört werden konnte. Luther hat uns von der Dominanz des Lateinischen befreit, Goethe von der Dominanz des Französischen. Man erinnere sich, daß noch Friedrich II. von Preußen, Zeitgenosse des jungen Goethe, der deutscheste aller deutschen Könige, bei seiner Korrespondenz und in seinen Schriften das Französische bevorzugte.
Da kein Luther oder Goethe in Sicht ist, der die Liebe der Deutschen zu ihrer eigenen Sprache weckt, müssen wir uns selbst helfen. Wir müssen unsere Jugendlichen stärken, sich frei und selbstbewußt in der eigenen Sprache zu bewegen. Lehrer und Bildungspolitiker sollten den Mut haben, den Gymnasialschülern die Lektüre der Großen unserer Literatur und der sprachmächtigen Autoren unter den Wissenschaftlern abzuverlangen und der Übung der deutschen Sprache Vorrang einzuräumen.
Wir dürfen uns rühmen, angesichts unserer Geschichte hart mit uns selbst ins Gericht zu gehen. Hier können wir anderen Nationen ein Vorbild werden. Um aber unser Selbstwertgefühl als Deutsche zurückzugewinnen, genügt es nicht, die Schattenseiten unserer Geschichte aufzuarbeiten. Wir müssen unsere Jugendlichen mit den Meistern der deutschen Sprache vertraut machen und in ihnen den Ehrgeiz wecken, gutes Deutsch zu sprechen und zu schreiben. Das gelingt immer noch am besten an deutschen Schulen. Dann werden sie selbstbewußt im "Europa der Vaterländer" (de Gaulle) ihre Stimme erheben. "Wir hoffen, das, was die Nation von anderen Nationen immer unterschied und unterscheiden wird,unsere schöne Sprache, werde nicht dürr und gemein werden, sondern ihren Adel erneuern; und mit ihm alles, was im Wort seinen Ausdruck findet. Geschähe es nicht, was würde alle wiedergewonnene Großmacht und Scheinmacht uns denn helfen?" Mit diesen Sätzen endet Golo Manns "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts". Ihnen ist nichts hinzuzufügen.
Der Autor war langjähriger Leiter der Internatsschule Schloß Salem.
Text: F.A.Z., 17.10.2005, Nr. 241 / Seite 37
http://www.faz.net/s/Rub5C2BFD49230B472BA96E0B2CF9FAB88C/Doc~E3F254EC6BD104F01ABEF153320682501~ATpl~Ecommon~Scontent.html Meiner Meinung nach eine schöne Selbstdarstellung der deutschen Seele, deshalb hielt ich den Artikel auch für euch für lesenswert.
René
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