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萍聚头条

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[轻松一刻] 里尔克 ---《给一个青年诗人的十封信》

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发表于 2009-4-4 22:18 | 显示全部楼层 |阅读模式

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Rainer Maria Rilke
Briefe an einen jungen Dichter

德文信来自网页 http://www.rilke.de/
冯至先生翻译的《给一个青年诗人的十封信》 http://www.lxbook.org/wgwx/german/rilke/10/index.htm

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 楼主| 发表于 2009-4-4 22:18 | 显示全部楼层
收信人引言

Im Spätherbst 1902 war es – da saß ich im Park der Militärakademie in Wiener Neustadt unter uralten Kastanien und las in einem Buch. So sehr war ich in die Lektüre vertieft, daß ich kaum bemerkte, wie der einzige Nicht-Offizier unter unseren Professoren, der gelehrte und gütige Akademiepfarrer Horacek sich zu mir gesellte. Er nahm mir den Band aus der Hand, betrachtete den Umschlag und schüttelte den Kopf. „Gedichte von Rainer Maria Rilke?“ fragte er nachdenklich. Hier und dort blätterte er dann auf, überflog ein paar Verse, schaute sinnend ins Weite und nickte schließlich. „So ist aus dem Zögling René Rilke also ein Dichter geworden.“
Und ich erfuhr von dem schmalen, blassen Knaben, den seine Eltern vor länger als fünfzehn Jahren in die Militär-Unterrealschule in Sankt Pölten gegeben hatten, damit er später Offizier werde. Damals hatte Horacek als Anstaltsgeistlicher dort gewirkt, und er entsann sich des ehemaligen Zöglings noch genau. Er schilderte ihn als einen stillen, ernsten, hochbefähigten Jungen, der sich gerne abseits hielt, den Zwang des Internatslebens geduldig ertrug und nach dem vierten Jahr mit den anderen in die Militär-Oberrealschule vorrückte, die sich in Mährisch-Weißkirchen befand. Dort freilich erwies sich seine Konstitution als nicht widerstandsfähig genug, weshalb ihn seine Eltern aus der Anstalt nahmen und daheim in Prag weiterstudieren ließen. Wie sich sein äußerer Lebensweg dann weiter gestaltet hatte, wußte Horacek nicht mehr zu berichten.
Nach all dem ist es wohl begreiflich, daß ich noch in derselben Stunde beschloß, meine dichterischen Versuche an Rainer Maria Rilke zu senden und ihn um sein Urteil zu bitten. Noch nicht zwanzigjährig und knapp an der Schwelle eines Berufes, den ich meinen Neigungen gerade entgegengesetzt empfand, hoffte ich, wenn überhaupt bei jemandem, so bei dem Dichter des Buches „Mir zu Feier“ Verständnis zu finden. Und ohne daß ich es eigentlich gewollt hatte, entstand zu meinen Versen ein Begleitbrief, in dem ich mich so rückhaltlos offenbarte wie nie zuvor und niemals nachher einem zweiten Menschen.
Viele Wochen vergingen, bis Antwort kam. Das blaugesiegelte Schreiben zeigte den Poststempel von Paris, wog schwer in der Hand und wies auf dem Umschlag dieselben klaren, schönen und sicheren Züge, in denen der Text von der ersten Zeile bis zur letzten hingesetzt war. Damit hob mein regelmäßiger Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke an, der bis 1908 währte und dann allmählich versickerte, weil mich das Leben auf Gebiete abtrieb, vor denen des Dichters warme, zarte und rührende Sorge mich eben hatte bewahren wollen.
Doch das ist nicht wichtig. Allein wichtig sind die zehn Briefe, die hier folgen, wichtig für die Erkenntnis der Welt, in der Rainer Maria Rilke gelebt und geschaffen hat, und wichtig auch für viele Wachsende und Werdende von heute und morgen. Und wo ein Großer und Einmaliger spricht, haben die Kleinen zu schweigen.

Berlin, im Juni 1929
                                    Franz Xaver Kappus
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 楼主| 发表于 2009-4-4 22:19 | 显示全部楼层
第一封信

Paris, am 17. Februar 1903


SEHR GEEHRTER HERR,

Ihr Brief hat mich erst vor einigen Tagen erreicht. Ich will Ihnen danken für sein großes und liebes Vertrauen. Ich kann kaum mehr. Ich kann nicht auf die Art Ihrer Verse eingehen; denn mir liegt jede kritische Absicht zu fern. Mit nichts kann man ein Kunst-Werk so wenig berühren als mit kritischen Worten: es kommt dabei immer auf mehr oder minder glückliche Mißverständnisse heraus. Die Dinge sind alle nicht so faßbar und sagbar, als man uns meistens glauben machen möchte; die meisten Ereignisse sind unsagbar, vollziehen sich in einem Raume, den nie ein Wort betreten hat, und unsagbarer als alle sind die Kunst-Werke, geheimnisvolle Existenzen, deren Leben neben dem unseren, das vergeht, dauert.

Wenn ich diese Notiz vorausschicke, darf ich Ihnen nur noch sagen, da&#223; Ihre Verse keine eigene Art haben, wohl aber stille und verdeckte Ans&#228;tze zu Pers&#246;nlichem. Am deutlichsten fühle ich das in dem letzten Gedicht >Meine Seele<. Da will etwas Eigenes zu Wort und Weise kommen. Und in dem sch&#246;nen Gedicht >An Leopardi< w&#228;chst vielleicht eine Art Verwandtschaft mit diesem Gro&#223;en, Einsamen auf. Trotzdem sind die Gedichte noch nichts für sich, nichts Selbst&#228;ndiges, auch das letzte und das an Leopardi nicht. Ihr gütiger Brief, der sie begleitet hat, verfehlt nicht, mir manchen Mangel zu erkl&#228;ren, den ich im Lesen Ihrer Verse fühlte, ohne ihn indessen namentlich nennen zu k&#246;nnen.

Sie fragen, ob Ihre Verse gut sind. Sie fragen mich. Sie haben vorher andere gefragt. Sie senden sie an Zeitschriften. Sie vergleichen sie mit anderen Gedichten, und Sie beunruhigen sich, wenn gewisse Redaktionen Ihre Versuche ablehnen. Nun (da Sie mir gestattet haben, Ihnen zu raten) bitte ich Sie, das alles aufzugeben. Sie sehen nach au&#223;en, und das vor allem dürften Sie jetzt nicht tun. Niemand kann Ihnen raten und helfen, niemand. Es gibt nur ein einziges Mittel. Gehen Sie in sich. Erforschen Sie den Grund, der Sie schreiben hei&#223;t; prüfen Sie, ob er in der tiefsten Stelle Ihres Herzens seine Wurzeln ausstreckt, gestehen Sie sich ein, ob Sie sterben mü&#223;ten, wenn es Ihnen versagt würde zu schreiben. Dieses vor allem: fragen Sie sich in der stillsten Stunde Ihrer Nacht: mu&#223; ich schreiben? Graben Sie in sich nach einer tiefen Antwort. Und wenn diese zustimmend lauten sollte, wenn Sie mit einem starken und einfachen >Ich mu&#223;< dieser ernsten Frage begegnen dürfen, dann bauen Sie Ihr Leben nach dieser Notwendigkeit; Ihr Leben bis hinein in seine gleichgültigste und geringste Stunde mu&#223; ein Zeichen und Zeugnis werden diesem Drange. Dann n&#228;hern Sie sich der Natur. Dann versuchen Sie, wie ein erster Mensch, zu sagen, was Sie sehen und erleben und lieben und verlieren.
Schreiben Sie nicht Liebesgedichte; weichen Sie zuerst denjenigen Formen aus, die zu gel&#228;ufig und gew&#246;hnlich sind: sie sind die schwersten, denn es geh&#246;rt eine gro&#223;e, ausgereifte Kraft dazu, Eigenes zu geben, wo sich gute und zum Teil gl&#228;nzende &#220;berlieferungen in Menge einstellen. Darum retten Sie sich vor den allgemeinen Motiven zu denen, die Ihnen Ihr eigener Alltag bietet; schildern Sie Ihre Traurigkeiten und Wünsche, die vorübergehenden Gedanken und den Glauben an irgendeine Sch&#246;nheit - schildern Sie das alles mit inniger, stiller, demütiger Aufrichtigkeit und gebrauchen Sie, um sich auszudrücken, die Dinge Ihrer Umgebung, die Bilder Ihrer Tr&#228;ume und die Gegenst&#228;nde ihrer Erinnerung. Wenn Ihr Alltag Ihnen arm scheint, klagen Sie ihn nicht an; klagen Sie sich an, sagen Sie sich, da&#223; Sie nicht Dichter genug sind, seine Reichtümer zu rufen; denn für den Schaffenden gibt es keine Armut und keinen armen, gleichgültigen Ort. Und wenn Sie selbst in einem Gef&#228;ngnis w&#228;ren, dessen W&#228;nde keines von den Ger&#228;uschen der Welt zu Ihren Sinnen kommen lie&#223;en - h&#228;tten Sie dann nicht immer noch Ihre Kindheit, diesen k&#246;stlichen, k&#246;niglichen Reichtum, dieses Schatzhaus der Erinnerungen? Wenden Sie dorthin Ihre Aufmerksamkeit. Versuchen Sie die versunkenen Sensationen dieser weiten Vergangenheit zu heben; Ihre Pers&#246;nlichkeit wird sich festigen, Ihre Einsamkeit wird sich erweitern und wird eine d&#228;mmernde Wohnung werden, daran der L&#228;rm der anderen fern vorüber geht. Und wenn aus dieser Wendung nach innen, aus dieser Versenkung in die eigene Welt Verse kommen, dann werden Sie nicht daran denken, jemanden zu fragen, ob es gute Verse sind. Sie werden auch nicht den Versuch machen, Zeitschriften für diese Arbeiten zu interessieren: denn Sie werden in ihnen Ihren lieben natürlichen Besitz, ein Stück und eine Stimme Ihres Lebens sehen. Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines Ursprungs liegt sein Urteil: es gibt kein anderes. Darum, sehr geehrter Herr, wu&#223;te ich Ihnen keinen Rat als diesen: in sich zu gehen und die Tiefen zu prüfen, in denen Ihr Leben entspringt; an seiner Quelle werden Sie die Antwort auf die Frage finden, ob Sie schaffen müssen. Nehmen Sie sie, wie sie klingt, an, ohne daran zu deuten. Vielleicht erweist es sich, da&#223; Sie berufen sind, Künstler zu sein. Dann nehmen Sie das Los auf sich, und tragen Sie es, seine Last und seine Gr&#246;&#223;e, ohne je nach dem Lohne zu fragen, der von au&#223;en kommen k&#246;nnte. Denn der Schaffende mu&#223; eine Welt für sich sein und alles in sich finden und in der Natur, an die er sich angeschlossen hat.

Vielleicht aber müssen Sie auch nach diesem Abstieg in sich und in Ihr Einsames darauf verzichten, ein Dichter zu werden (es genügt, wie gesagt, zu fühlen, da&#223; man, ohne zu schreiben, leben k&#246;nnte, um es überhaupt nicht zu dürfen). Aber auch dann ist diese Einkehr, um die ich Sie bitte, nicht vergebens gewesen. Ihr Leben wird auf jeden Fall von da ab eigene Wege finden, und da&#223; es gute, reiche und weite sein m&#246;gen, das wünsche ich Ihnen mehr, als ich sagen kann.

Was soll ich Ihnen noch sagen? Mir scheint alles betont nach seinem Recht; und schlie&#223;lich wollte ich Ihnen ja auch nur raten, still und ernst durch Ihre Entwicklung durchzuwachsen; Sie k&#246;nnen sie gar nicht heftiger st&#246;ren, als wenn Sie nach au&#223;en sehen und von au&#223;en Antwort erwarten auf Fragen, die nur Ihr innerstes Gefühl in Ihrer leisesten Stunde vielleicht beantworten kann.

Es war mir eine Freude, in Ihrem Schreiben den Namen des Herrn Professor Horacek zu finden; ich bewahre diesem liebenswürdigen Gelehrten eine gro&#223;e Verehrung und eine durch die Jahre dauernde Dankbarkeit. Wollen Sie ihm, bitte, von dieser meiner Empfindung sagen; es ist sehr gütig, da&#223; er meiner noch gedenkt, und ich wei&#223; es zu sch&#228;tzen.

Die Verse, welche Sie mir freundlich vertrauen kamen, gebe ich Ihnen gleichzeitig wieder zurück. Und ich danke Ihnen nochmals für die Gr&#246;&#223;e und Herzlichkeit Ihres Vertrauens, dessen ich mich durch diese aufrichtige, nach bestem Wissen gegebene Antwort ein wenig würdiger zu machen suchte, als ich es, als ein Fremder, wirklich bin.

               Mit aller Ergebenheit und Teilnahme:                                          
Rainer Maria Rilke
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 楼主| 发表于 2009-4-4 22:20 | 显示全部楼层
第二封信

Viareggio bei Pisa (Italien), am 5. April 1903

Sie müssen es mir verzeihen, lieber und geehrter Herr, da&#223; ich Ihres Briefes vom 24. Februar erst heute dankbar gedenke: ich war die ganze Zeit leidend, nicht gerade krank, aber von einer influenza-artigen Mattigkeit bedrückt, die mich unf&#228;hig machte zu allem. Und schlie&#223;lich, als es gar nicht anders werden wollte, fuhr ich an dieses südliche Meer, dessen Wohltun mir schon einmal geholfen hat. Aber ich bin noch nicht gesund, das Schreiben f&#228;llt mir schwer, und so müssen Sie diese wenigen Zeilen nehmen für mehr.

Natürlich müssen Sie wissen, da&#223; Sie mich mit jedem Briefe immer erfreuen werden, und nur nachsichtig sein gegen die Antwort, die Sie vielleicht oft mit leeren H&#228;nden lassen wird; denn im Grunde, und gerade in den tiefsten und wichtigsten Dingen, sind wir namenlos allein, und damit einer dem andern raten oder gar helfen kann, mu&#223; viel geschehen, viel mu&#223; gelingen, eine ganze Konstellation von Dingen mu&#223; eintreffen, damit es einmal glückt.

Ich wollte Ihnen heute nur noch zwei Dinge sagen: Ironie: Lassen Sie sich nicht von ihr beherrschen, besonders nicht in unsch&#246;pferischen Momenten. In sch&#246;pferischen versuchen Sie es, sich ihrer zu bedienen, als eines Mittels mehr, das Leben zu fassen. Rein gebraucht, ist sie auch rein, und man mu&#223; sich ihrer nicht sch&#228;men; und fühlen Sie sich ihr zu vertraut, fürchten Sie die wachsende Vertraulichkeit mit ihr, dann wenden Sie sich an gro&#223;e und ernste Gegenst&#228;nde, vor denen sie klein und hilflos wird. Suchen Sie die Tiefe der Dinge: dort steigt Ironie nie hinab, - und wenn Sie so an den Rand des Gro&#223;en führen, erproben Sie gleichzeitig, ob diese Auffassungsart einer Notwendigkeit Ihres Wesens entspringt. Denn unter dem Einflu&#223; ernster Dinge wird sie entweder von Ihnen abfallen (wenn sie etwas Zuf&#228;lliges ist), oder aber sie wird (so sie wirklich eingeboren Ihnen zugeh&#246;rt) erstarken zu einem ernsten Werkzeug und sich einordnen in die Reihe der Mittel, mit denen Sie Ihre Kunst werden bilden müssen.

Und das zweite, was ich Ihnen heute erz&#228;hlen wollte, ist dieses:

Von allen meinen Büchern sind mir nur wenige unentbehrlich, und zwei sind sogar immer unter meinen Dingen, wo ich auch bin. Sie sind auch hier um mich: die Bibel, und die Bücher des gro&#223;en d&#228;nischen Dichters Jens Peter Jacobsen. Es f&#228;llt mir ein, ob Sie seine Werke kennen. Sie k&#246;nnen sich dieselben leicht verschaffen, denn ein Teil derselben ist in Reclams Universal-Bibliothek in sehr guter &#220;bertragung erschienen. Verschaffen Sie sich das B&#228;ndchen >Sechs Novellen< von J. P. Jacobsen und seinen Roman >Niels Lyhne<, und beginnen Sie des ersten B&#228;ndchens erste Novelle, welche >Mogens< hei&#223;t. Eine Welt wird über Sie kommen, das Glück, der Reichtum, die unbegreifliche Gr&#246;&#223;e einer Welt. Leben Sie eine Weile in diesen Büchern, lernen Sie davon, was Ihnen lernenswert scheint, aber vor allem lieben Sie sie. Diese Liebe wird Ihnen tausend- und tausendmal vergolten werden, und wie Ihr Leben auch werden mag, - sie wird, ich bin dessen gewi&#223;, durch das Gewebe Ihres Werdens gehen als einer von den wichtigsten F&#228;den unter allen F&#228;den Ihrer Erfahrungen, Entt&#228;uschungen und Freuden.

Wenn ich sagen soll, von wem ich etwas über das Wesen des Schaffens, über seine Tiefe und Ewigkeit erfuhr, so sind es nur zwei Namen, die ich nennen kann: den Jacobsens, des gro&#223;en, gro&#223;en Dichters, und den Auguste Rodins, des Bildhauers, der seinesgleichen nicht hat unter allen Künstlern, die heute leben. -
Und alles Gelingen über Ihre Wege!
                                                                                                   
                                                                                                Ihr:
Rainer Maria Rilke
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 楼主| 发表于 2009-4-4 22:21 | 显示全部楼层
本帖最后由 澄澈 于 2009-4-4 23:22 编辑

第三封信

Viareggio bei Pisa (Italien), am 23. April 1903


Sie haben mir, lieber und geehrter Herr, mit Ihrem &#246;sterlichen Briefe viel Freude gemacht; denn er sagte viel Gutes von Ihnen, und die Art, wie Sie über Jacobsens gro&#223;e und liebe Kunst sprachen, zeigte mir, da&#223; ich nicht geirrt habe, als ich Ihr Leben und seine vielen Fragen an diese Fülle führte.

Nun wird sich Ihnen >Niels Lyhne< auftun, ein Buch der Herrlichkeiten und der Tiefen; je &#246;fter man es liest: es scheint alles darin zu sein von des Lebens allerleisestem Dufte bis zu dem vollen, gro&#223;en Geschmack seiner schwersten Früchte. Da ist nichts, was nicht verstanden, erfa&#223;t, erfahren und in des Erinnerns zitterndem Nachklingen erkannt worden w&#228;re; kein Erleben ist zu gering gewesen, und das kleinste Geschehen entfaltet sich wie ein Schicksal, und das Schicksal selbst ist wie ein wunderbares, weites Gewebe, darin jeder Faden von einer unendlich z&#228;rtlichen Hand geführt und neben einen anderen gelegt und von hundert anderen gehalten und getragen wird. Sie werden das gro&#223;e Glück erfahren, dieses Buch zum ersten Male zu lesen, und werden durch seine unz&#228;hligen &#220;berraschungen gehen wie in einem neuen Traum. Aber ich kann Ihnen sagen, da&#223; man auch sp&#228;ter immer wieder als derselbe Staunende durch diese Bücher geht und da&#223; sie nichts von der wunderbaren Macht verlieren und nichts von der M&#228;rchenhaftigkeit aufgeben, mit der sie den Lesenden das erste Mal überschütten.

Man wird nur immer genie&#223;ender an ihnen, immer dankbarer, und irgendwie besser und einfacher im Schauen, tiefer im Glauben an das Leben und im Leben seliger und gr&#246;&#223;er. –

Und sp&#228;ter müssen Sie das wunderbare Buch vom Schicksal und Sehnen der Marie Grubbe lesen und Jacobsens Briefe und Tagebuchbl&#228;tter und Fragmente und endlich seine Verse, die (wenn sie auch nur m&#228;&#223;ig übertragen sind) in unendlichem Klingen leben. (Dazu würde ich Ihnen raten, gelegentlich die sch&#246;ne Gesamtausgabe von Jacobsens Werken - die alles das enth&#228;lt - zu kaufen. Sie erschien in drei B&#228;nden und gut übertragen bei Eugen Diederichs in Leipzig und kostet, soviel ich glaube, nur fünf oder sechs Mark pro Band.)

Mit Ihrer Meinung über >Hier sollten Rosen stehen...< (dieses Werk von so unvergleichlicher Feinheit und Form) haben Sie natürlich gegen den, der die Einleitung geschrieben hat, ganz, ganz unantastbar recht. Und es sei hier gleich die Bitte gesagt: Lesen Sie m&#246;glichst wenig &#228;sthetisch-kritische Dinge, - es sind entweder Parteiansichten, versteinert und sinnlos geworden in ihrem leblosen Verh&#228;rtetsein, oder es sind geschickte Wortspiele, bei denen heute diese Ansicht gewinnt und morgen die entgegengesetzte. Kunst-Werke sind von einer unendlichen Einsamkeit und mit nichts so wenig erreichbar als mit Kritik. Nur Liebe kann sie erfassen und halten und kann gerecht sein gegen sie. - Geben Sie jedesmal sich und Ihrem Gefühl recht, jeder solchen Auseinandersetzung, Besprechung oder Einführung gegenüber; sollten Sie doch unrecht haben, so wird das natürliche Wachstum Ihres inneren Lebens Sie langsam und mit der Zeit zu anderen Erkenntnissen führen. Lassen Sie Ihren Urteilen die eigene stille, ungest&#246;rte Entwicklung, die, wie jeder Fortschritt, tief aus innen kommen mu&#223; und durch nichts gedr&#228;ngt oder beschleunigt werden kann. Alles ist austragen und dann geb&#228;ren. Jeden Eindruck und jeden Keim eines Gefühls ganz in sich, im Dunkel, im Unsagbaren, Unbewu&#223;ten, dem eigenen Verstande Unerreichbaren sich vollenden lassen und mit tiefer Demut und Geduld die Stunde der Niederkunft einer neuen Klarheit abwarten: das allein hei&#223;t künstlerisch leben: im Verstehen wie im Schaffen.

Da gibt es kein Messen mit der Zeit, da gilt kein Jahr, und zehn Jahre sind nichts, Künstler sein hei&#223;t: nicht rechnen und z&#228;hlen; reifen wie der Baum, der seine S&#228;fte nicht dr&#228;ngt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht ohne die Angst, da&#223; dahinter kein Sommer kommen k&#246;nnte. Er kommt doch. Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen l&#228;ge, so sorglos still und weit. Ich lerne es t&#228;glich, lerne es unter Schmerzen, denen ich dankbar bin: Geduld ist alles!


Richard Dehmel: Mir geht es mit seinen Büchern (und nebenbei gesagt auch mit dem Menschen, den ich flüchtig kenne) so, da&#223;, wenn ich eine seiner sch&#246;nen Seiten gefunden habe, ich mich immer vor der n&#228;chsten fürchte, die alles wieder zerst&#246;ren und das Liebenswerte in Unwürdiges verkehren kann. Sie haben ihn ganz gut charakterisiert mit dem Wort: >brünstig leben und dichten<. - Und tats&#228;chlich liegt ja künstlerisches Erleben so unglaublich nahe am geschlechtlichen, an seinem Weh und seiner Lust, da&#223; die beiden Erscheinungen eigentlich nur verschiedene Formen einer und derselben Sehnsucht und Seligkeit sind. Und wenn man statt Brunst - Geschlecht sagen dürfte, Geschlecht im gro&#223;en, weiten, reinen, durch keinen Kirchenirrtum verd&#228;chtigten Sinne, so w&#228;re seine Kunst sehr gro&#223; und unendlich wichtig. Seine dichterische Kraft ist gro&#223; und wie ein Urtrieb stark, sie hat eigene rücksichtslose Rhythmen in sich und bricht wie aus Bergen aus ihm aus.

Aber es scheint, da&#223; diese Kraft nicht immer ganz aufrichtig und ohne Pose ist. (Aber das ist ja auch eine der schwersten Prüfungen an dem Schaffenden: er mu&#223; immer der Unbewu&#223;te, der Ahnungslose seiner besten Tugenden bleiben, wenn er diesen nicht ihre Unbefangenheit und Unberührtheit nehmen will!) Und dann, wo sie, durch sein Wesen rauschend, zum Geschlechtlichen kommt, da findet sie keinen ganz so reinen Menschen, wie sie ihn brauchte. Da ist keine ganz reife und reine Geschlechtswelt, eine, die nicht menschlich genug, die nur m&#228;nnlich ist, Brunst ist, Rausch und Ruhelosigkeit, und beladen mit den alten Vorurteilen und Hoffarten, mit denen der Mann die Liebe entstellt und beladen hat. Weil er nur als Mann liebt, nicht als Mensch, darum ist in seiner Geschlechtsempfindung etwas Enges, scheinbar Wildes, Geh&#228;ssiges, Zeitliches, Unewiges, das seine Kunst verringert und sie zweideutig und zweifelhaft macht. Sie ist nicht ohne Makel, sie ist gezeichnet von der Zeit und von der Leidenschaft, und wenig aus ihr wird dauern und bestehen. (Die meiste Kunst ist aber so!) Aber trotzdem kann man sich an dem, was in ihr Gro&#223;es ist, tief freuen und mu&#223; nur nicht daran verloren gehen und Anh&#228;nger jener Dehmelschen Welt werden, die so unendlich bange, voll Ehebruch und Wirrnis ist und fern von den wirklichen Schicksalen, die mehr leiden machen als diese zeitlichen Trübnisse, aber auch mehr Gelegenheit zu Gr&#246;&#223;e geben und mehr Mut zur Ewigkeit.

Was endlich meine Bücher anlangt, so m&#246;chte ich Ihnen am liebsten alle senden, die Sie irgend freuen k&#246;nnten. Aber ich bin sehr arm, und meine Bücher geh&#246;ren, sobald sie einmal erschienen sind, nicht mehr mir. Ich kann sie selbst nicht kaufen - und, wie ich so oft m&#246;chte, denen geben, die ihnen Liebes erweisen würden.

Deshalb schreibe ich Ihnen auf einen Zettel die Titel (und Verlage) meiner jüngsterschienenen Bücher (der neuesten, im ganzen habe ich wohl 12 oder 13 ver&#246;ffentlicht) auf und mu&#223; es Ihnen, lieber Herr, überlassen, sich gelegentlich mal etwas davon zu bestellen.

Ich wei&#223; meine Bücher gerne bei Ihnen.

                      Leben Sie wohl!
                                                                                                      Ihr:
Rainer Maria Rilke
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 楼主| 发表于 2009-4-4 22:23 | 显示全部楼层
第四封信

z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903


Vor etwa zehn Tagen habe ich Paris verlassen, recht leidend und müde, und bin in eine gro&#223;e n&#246;rdliche Ebene gefahren, deren Weite und Stille und Himmel mich wieder gesund machen soll. Aber ich fuhr in einen langen Regen hinein, der heute erst sich ein wenig lichten will über dem unruhig werdenden Land; und ich benutze diesen ersten Augenblick Helle, um Sie zu grü&#223;en, lieber Herr.

Sehr lieber Herr Kappus: Ich habe einen Brief von Ihnen lange ohne Antwort gelassen, nicht da&#223; ich ihn vergessen h&#228;tte - im Gegenteil: er war von der Art derer, die man wieder liest, wenn man sie unter den Briefen findet, und ich erkannte Sie darin wie aus gro&#223;er N&#228;he. Es war der Brief vom zweiten Mai, und Sie erinnern sich seiner gewi&#223;. Wenn ich ihn, wie jetzt, in der gro&#223;en Stille dieser Ferne lese, dann rührt mich Ihre sch&#246;ne Sorge um das Leben, mehr noch, als ich das schon in Paris empfunden habe, wo alles anders anklingt und verhallt wegen des übergro&#223;en L&#228;rmes, von dem die Dinge zittern. Hier, wo ein gewaltiges Land um mich ist, über das von den Meeren her die Winde gehen, hier fühle ich, da&#223; auf jene Fragen und Gefühle, die in ihren Tiefen ein eigenes Leben haben, nirgend ein Mensch Ihnen antworten kann; denn es irren auch die Besten in den Worten, wenn sie Leisestes bedeuten sollen und fast Uns&#228;gliches. Aber ich glaube trotzdem, da&#223; Sie nicht ohne L&#246;sung bleiben müssen, wenn Sie sich an Dinge halten, die denen &#228;hnlich sind, an welchen jetzt meine Augen sich erholen. Wenn Sie sich an die Natur halten, an das Einfache in ihr, an das Kleine, das kaum einer sieht, und das so unversehens zum Gro&#223;en und Unerme&#223;lichen werden kann; wenn Sie diese Liebe haben zu dem Geringen und ganz schlicht als ein Dienender das Vertrauen dessen zu gewinnen suchen, was arm scheint: dann wird Ihnen alles leichter, einheitlicher und irgendwie vers&#246;hnender werden, nicht im Verstande vielleicht, der staunend zurückbleibt, aber in Ihrem innersten Bewu&#223;tsein, Wach-sein und Wissen. Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich m&#246;chte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungel&#246;ste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden k&#246;nnen, weil Sie sie nicht leben k&#246;nnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allm&#228;hlich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein. Vielleicht tragen Sie ja in sich die M&#246;glichkeit, zu bilden und zu formen, als eine besonders selige und reine Art des Lebens; erziehen Sie sich dazu, - aber nehmen Sie das, was kommt, in gro&#223;em Vertrauen hin, und wenn es nur aus Ihrem Willen kommt, aus irgendeiner Not Ihres Innern, so nehmen Sie es auf sich und hassen Sie nichts. Das Geschlecht ist schwer; ja. Aber es ist Schweres, was uns aufgetragen wurde, fast alles Ernste ist schwer, und alles ist ernst. Wenn Sie das nur erkennen und dazu kommen, aus sich, aus Ihrer Anlage und Art, aus Ihrer Erfahrung und Kindheit und Kraft heraus ein ganz eigenes (von Konvention und Sitte nicht beeinflu&#223;tes) Verh&#228;ltnis zu dem Geschlecht zu erringen, dann müssen Sie nicht mehr fürchten, sich zu verlieren und unwürdig zu werden Ihres besten Besitzes.

Die k&#246;rperliche Wollust ist ein sinnliches Erlebnis, nicht anders als das reine Schauen oder das reine Gefühl, mit dem eine sch&#246;ne Frucht die Zunge füllt; sie ist eine gro&#223;e, unendliche Erfahrung, die uns gegeben wird, ein Wissen von der Welt, die Fülle und der Glanz alles Wissens. Und nicht, da&#223; wir sie empfangen, ist schlecht; schlecht ist, da&#223; fast alle diese Erfahrung mi&#223;brauchen und vergeuden und sie als Reiz an die müden Stellen ihres Lebens setzen und als Zerstreuung statt als Sammlung zu H&#246;hepunkten. Die Menschen haben ja auch das Essen zu etwas anderem gemacht: Not auf der einen, &#220;berflu&#223; auf der anderen Seite haben die Klarheit dieses Bedürfnisses getrübt, und &#228;hnlich trübe sind alle die tiefen, einfachen Notdürfte geworden, in denen das Leben sich erneuert. Aber der einzelne kann sie für sich kl&#228;ren und klar leben (und wenn nicht der einzelne, der zu abh&#228;ngig ist, so doch der Einsame). Er kann sich erinnern, da&#223; alle Sch&#246;nheit in Tieren und Pflanzen eine stille dauernde Form von Liebe und Sehnsucht ist, und er kann das Tier sehen, wie er die Pflanze sieht, geduldig und willig sich vereinigend und vermehrend und wachsend nicht aus physischer Lust, nicht aus physischem Leid, Notwendigkeiten sich neigend, die gr&#246;&#223;er sind als Lust und Leid und gewaltiger denn Wille und Widerstand. O da&#223; der Mensch dieses Geheimnis, dessen die Erde voll ist bis in ihre kleinsten Dinge, demütiger empfinge und ernster trüge, ertrüge und fühlte, wie schrecklich schwer es ist, statt es leicht zu nehmen. Da&#223; er ehrfürchtig w&#228;re gegen seine Fruchtbarkeit, die nur eine ist, ob sie geistig oder k&#246;rperlich scheint; denn auch das geistige Schaffen stammt von dem physischen her, ist eines Wesens mit ihm und nur wie eine leisere, entzücktere und ewigere Wiederholung leiblicher Wollust. >Der Gedanke, Sch&#246;pfer zu sein, zu zeugen, zu bilden<, ist nichts ohne seine fortw&#228;hrende, gro&#223;e Best&#228;tigung und Verwirklichung in der Welt, nichts ohne die tausendf&#228;ltige Zustimmung aus Dingen und Tieren, - und sein Genu&#223; ist nur deshalb so unbeschreiblich sch&#246;n und reich, weil er voll ererbter Erinnerungen ist aus Zeugen und Geb&#228;ren von Millionen. In einem Sch&#246;pfergedanken leben tausend vergessene Liebesn&#228;chte auf und erfüllen ihn mit Hoheit und H&#246;he. Und die in den N&#228;chten zusammenkommen und verflochten sind in wiegender Wollust, tun eine ernste Arbeit und sammeln Sü&#223;igkeiten an, Tiefe und Kraft für das Lied irgendeines kommenden Dichters, der aufstehn wird, um uns&#228;gliche Wonnen zu sagen. Und rufen die Zukunft herbei; und wenn sie auch irren und sich blindlings umfassen, die Zukunft kommt doch, ein neuer Mensch erhebt sich, und auf dem Grunde des Zufalls, der hier vollzogen scheint, erwacht das Gesetz, mit dem ein widerstandsf&#228;higer kr&#228;ftiger Samen sich durchdr&#228;ngt zu der Eizelle, die ihm offen entgegenzieht. Lassen Sie sich nicht beirren durch die Oberfl&#228;chen; in den Tiefen wird alles Gesetz. Und die das Geheimnis falsch und schlecht leben (und es sind sehr viele), verlieren es nur für sich selbst und geben es doch weiter wie einen verschlossenen Brief, ohne es zu wissen. Und werden Sie nicht irre an der Vielheit der Namen und an der Kompliziertheit der F&#228;lle. Vielleicht ist über allem eine gro&#223;e Mutterschaft, als gemeinsame Sehnsucht. Die Sch&#246;nheit der Jungfrau, eines Wesens, >das (wie Sie so sch&#246;n sagen) noch nichts geleistet hat<, ist Mutterschaft, die sich ahnt und vorbereitet, &#228;ngstigt und sehnt. Und der Mutter Sch&#246;nheit ist dienende Mutterschaft, und in der Greisin ist eine gro&#223;e Erinnerung. Und auch im Mann ist Mutterschaft, scheint mir, leibliche und geistige; sein Zeugen ist auch eine Art Geb&#228;ren, und Geb&#228;ren ist es, wenn er schafft aus innerster Fülle. Und vielleicht sind die Geschlechter verwandter, als man meint, und die gro&#223;e Erneuerung der Welt wird vielleicht darin bestehen, da&#223; Mann und M&#228;dchen sich, befreit von allen Irrgefühlen und Unlüsten, nicht als Gegens&#228;tze suchen werden, sondern als Geschwister und Nachbarn und sich zusammentun werden als Menschen, um einfach, ernst und geduldig das schwere Geschlecht, das ihnen auferlegt ist, gemeinsam zu tragen.

Aber alles, was vielleicht einmal vielen m&#246;glich sein wird, kann der Einsame jetzt schon vorbereiten und bauen mit seinen H&#228;nden, die weniger irren. Darum, lieber Herr, lieben Sie Ihre Einsamkeit, und tragen Sie den Schmerz, den sie Ihnen verursacht, mit sch&#246;n klingender Klage. Denn die Ihnen nahe sind, sind fern, sagen Sie, und das zeigt, da&#223; es anf&#228;ngt, weit um Sie zu werden. Und wenn Ihre N&#228;he fern ist, dann ist Ihre Weite schon unter den Sternen und sehr gro&#223;; freuen Sie sich Ihres Wachstums, in das Sie ja niemanden mitnehmen k&#246;nnen, und seien Sie gut gegen die, welche zurückbleiben, und seien Sie sicher und ruhig vor ihnen und qu&#228;len Sie sie nicht mit Ihren Zweifeln und erschrecken Sie sie nicht mit Ihrer Zuversicht oder Freude, die sie nicht begreifen k&#246;nnten. Suchen Sie sich mit ihnen irgendeine schlichte und treue Gemeinsamkeit, die sich nicht notwendig ver&#228;ndern mu&#223;, wenn Sie selbst anders und anders werden; lieben Sie an ihnen das Leben in einer fremden Form und haben Sie Nachsicht gegen die alternden Menschen, die das Alleinsein fürchten, zu dem Sie Vertrauen haben. Vermeiden Sie, jenem Drama, das zwischen Eltern und Kindern immer ausgespannt ist, Stoff zuzuführen; es verbraucht viel Kraft der Kinder und zehrt die Liebe der Alten auf, die wirkt und w&#228;rmt, auch wenn sie nicht begreift. Verlangen Sie keinen Rat von ihnen und rechnen Sie mit keinem Verstehen; aber glauben Sie an eine Liebe, die für Sie aufbewahrt wird wie eine Erbschaft, und vertrauen Sie, da&#223; in dieser Liebe eine Kraft ist und ein Segen, aus dem Sie nicht herausgehen müssen, um ganz weit zu gehen!

Es ist gut, da&#223; Sie zun&#228;chst in einen Beruf münden, der Sie selbst&#228;ndig macht und Sie vollkommen auf sich selbst stellt in jedem Sinne. Warten Sie geduldig ab, ob Ihr innerstes Leben sich beschr&#228;nkt fühlt durch die Form dieses Berufes. Ich halte ihn für sehr schwer und für sehr anspruchsvoll, da er von gro&#223;en Konventionen belastet ist und einer pers&#246;nlichen Auffassung seiner Aufgaben fast keinen Raum l&#228;&#223;t. Aber Ihre Einsamkeit wird Ihnen auch inmitten sehr fremder Verh&#228;ltnisse Halt und Heimat sein, und aus ihr heraus werden Sie alle Ihre Wege finden. Alle meine Wünsche sind bereit, Sie zu begleiten, und mein Vertrauen ist mit Ihnen,  
                                                                                                   
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Rainer Maria Rilke
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第五封信

Rom, am 29. Oktober 1903


LIEBER UND GEEHRTER HERR,

Ihren Brief vom 29. August empfing ich in Florenz, und nun - nach zwei Monaten erst - sage ich Ihnen davon. Verzeihen Sie nur diese S&#228;umigkeit, - aber ich schreibe unterwegs ungern Briefe, weil ich zum Briefschreiben mehr brauche als das allern&#246;tigste Ger&#228;t: etwas Stille und Einsamkeit und eine nicht allzu fremde Stunde.

In Rom trafen wir vor etwa sechs Wochen ein, zu einer Zeit, da es noch das leere, das hei&#223;e, das fieberverrufene Rom war, und dieser Umstand trug mit anderen praktischen Einrichtungsschwierigkeiten dazu bei, da&#223; die Unruhe um uns kein Ende nehmen wollte und die Fremde mit der Last der Heimatlosigkeit auf uns lag. Dazu ist noch zu rechnen, da&#223; Rom (wenn man es noch nicht kennt) in den ersten Tagen erdrückend traurig wirkt: durch die unlebendige und trübe Museumsstimmung, die es ausatmet, durch die Fülle seiner hervorgeholten und mühsam aufrecht erhaltenen Vergangenheiten (von denen eine kleine Gegenwart sich ern&#228;hrt), durch die namenlose, von Gelehrten und Philologen unterstützte und von den gewohnheitsm&#228;&#223;igen Italienreisenden nachgeahmte &#220;bersch&#228;tzung aller dieser entstellten und verdorbenen Dinge, die doch im Grunde nicht mehr sind als zuf&#228;llige Reste einer anderen Zeit und eines Lebens, das nicht unseres ist und unseres nicht sein soll. Schlie&#223;lich, nach Wochen t&#228;glicher Abwehr, findet man sich, obwohl noch ein wenig verwirrt, zu sich selber zurück, und man sagt sich: Nein, es ist hier nicht mehr Sch&#246;nheit als anderswo, und alle diese von Generationen immer weiterbewunderten Gegenst&#228;nde, an denen Handlangerh&#228;nde gebessert und erg&#228;nzt haben, bedeuten nichts, sind nichts und haben kein Herz und keinen Wert; - aber es ist viel Sch&#246;nheit hier, weil überall viel Sch&#246;nheit ist. Unendlich lebensvolle Wasser gehen über die alten Aqu&#228;dukte in die gro&#223;e Stadt und tanzen auf den vielen Pl&#228;tzen über steinernen wei&#223;en Schalen und breiten sich aus in weiten, ger&#228;umigen Becken und rauschen bei Tag und erheben ihr Rauschen zur Nacht, die hier gro&#223; und gestirnt ist und weich von Winden. Und G&#228;rten sind hier, unverge&#223;liche Alleen und Treppen, Treppen, von Michelangelo ersonnen, Treppen, die nach dem Vorbild abw&#228;rts gleitender Wasser erbaut sind, - breit im Gef&#228;ll Stufe aus Stufe geb&#228;rend wie Welle aus Welle. Durch solche Eindrücke sammelt man sich, gewinnt sich zurück aus dem anspruchsvollen Vielen, das da spricht und schw&#228;tzt (und wie gespr&#228;chig ist es!), und lernt langsam die sehr wenigen Dinge erkennen, in denen Ewiges dauert, das man lieben, und Einsames, daran man leise teilnehmen kann.

Noch wohne ich in der Stadt auf dem Kapitol, nicht weit von dem sch&#246;nsten Reiterbilde, das uns aus r&#246;mischer Kunst erhalten geblieben ist, - dem des Marc Aurel; aber in einigen Wochen werde ich einen stillen schlichten Raum beziehen, einen alten Altan, der ganz tief in einem gro&#223;en Park verloren liegt, der Stadt, ihrem Ger&#228;usch und Zufall verborgen. Dort werde ich den ganzen Winter wohnen und mich freuen an der gro&#223;en Stille, von der ich das Geschenk guter und tüchtiger Stunden erwarte...

Von dort aus, wo ich mehr zu Hause sein werde, schreibe ich Ihnen einen gr&#246;&#223;eren Brief, darin auch noch von Ihrem Schreiben die Rede sein wird. Heute mu&#223; ich Ihnen nur sagen (und vielleicht ist es unrecht, da&#223; ich dies nicht schon früher getan habe), da&#223; das in Ihrem Briefe angekündigte Buch (welches Arbeiten von Ihnen enthalten sollte) nicht hier eingetroffen ist. Ist es an Sie zurückgegangen, vielleicht von Worpswede aus? (Denn: man darf Pakete ins Ausland nicht nachsenden.) Diese M&#246;glichkeit ist die günstigste, die ich gern best&#228;tigt wü&#223;te. Hoffentlich handelt es sich nicht um einen Verlust, - der ja bei italienischen Postverh&#228;ltnissen nicht zu den Ausnahmen geh&#246;rt - leider.

Ich h&#228;tte auch dieses Buch (wie alles, was ein Zeichen von Ihnen gibt) gern empfangen; und Verse, die inzwischen entstanden sind, werde ich immer (wenn Sie mir sie anvertrauen) lesen und wieder lesen und erleben, so gut und so herzlich ich kann. Mit Wünschen und Grü&#223;en
                                                                                                   
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第六封信

Rom, am 23. Dezember 1903


MEIN LIEBER HERR KAPPUS,

Sie sollen nicht ohne einen Gru&#223; von mir sein, wenn es Weihnachten wird und wenn Sie, inmitten des Festes, Ihre Einsamkeit schwerer tragen als sonst. Aber wenn Sie dann merken, da&#223; sie gro&#223; ist, so freuen Sie sich dessen; denn was (so fragen Sie sich) w&#228;re eine Einsamkeit, welche nicht Gr&#246;&#223;e h&#228;tte; es gibt nur eine Einsamkeit, und die ist gro&#223; und ist nicht leicht zu tragen, und es kommen fast allen die Stunden, da sie sie gerne vertauschen m&#246;chten gegen irgendeine noch so banale und billige Gemeinsamkeit, gegen den Schein einer geringen &#220;bereinstimmung mit dem N&#228;chstbesten, mit dem Unwürdigsten ... Aber vielleicht sind das gerade die Stunden, wo die Einsamkeit w&#228;chst; denn ihr Wachsen ist schmerzhaft wie das Wachsen der Knaben und traurig wie der Anfang der Frühlinge. Aber das darf Sie nicht irre machen. Was not tut, ist doch nur dieses: Einsamkeit, gro&#223;e innere Einsamkeit. Insich-Gehen und stundenlang niemandem begegnen, - das mu&#223; man erreichen k&#246;nnen. Einsam sein, wie man als Kind einsam war, als die Erwachsenen umhergingen, mit Dingen verflochten, die wichtig und gro&#223; schienen, weil die Gro&#223;en so gesch&#228;ftigt aussahen und weil man von ihrem Tun nichts begriff.

Und wenn man eines Tages einsieht, da&#223; ihre Besch&#228;ftigungen armselig, ihre Berufe erstarrt und mit dem Leben nicht mehr verbunden sind, warum dann nicht weiter wie ein Kind darauf hinsehen als auf ein Fremdes, aus der Tiefe der eigenen Welt heraus, aus der Weite der eigenen Einsamkeit, die selber Arbeit ist und Rang und Beruf? Warum eines Kindes weises Nicht-Verstehen vertauschen wollen gegen Abwehr und Verachtung, da doch Nicht-Verstehen Alleinsein ist, Abwehr und Verachtung aber Teilnahme an dem, wovon man sich mit diesen Mitteln scheiden will.

Denken Sie, lieber Herr, an die Welt, die Sie in sich tragen, und nennen Sie dieses Denken, wie Sie wollen; mag es Erinnerung an die eigene Kindheit sein oder Sehnsucht zur eigenen Zukunft hin, - nur seien Sie aufmerksam gegen das, was in Ihnen aufsteht, und stellen Sie es über alles, was Sie um sich bemerken. Ihr innerstes Geschehen ist Ihrer ganzen Liebe wert, an ihm müssen Sie irgendwie arbeiten und nicht zu viel Zeit und zu viel Mut damit verlieren, Ihre Stellung zu den Menschen aufzukl&#228;ren. Wer sagt Ihnen denn, da&#223; Sie überhaupt eine haben? - Ich wei&#223;, Ihr Beruf ist hart und voll Widerspruch gegen Sie, und ich sah Ihre Klage voraus und wu&#223;te, da&#223; sie kommen würde. Nun sie gekommen ist, kann ich Sie nicht beruhigen, ich kann Ihnen nur raten, zu überlegen, ob nicht alle Berufe so sind, voll von Ansprüchen, voll Feindschaft gegen den einzelnen, vollgesogen gleichsam mit dem Ha&#223; derer, die sich stumm und mürrisch in die nüchterne Pflicht gefunden haben. Der Stand, in dem Sie jetzt leben müssen, ist nicht schwerer mit Konventionen, Vorurteilen und Irrtümern belastet als alle die anderen St&#228;nde, und wenn es welche gibt, die eine gr&#246;&#223;ere Freiheit zur Schau tragen, so gibt es doch keinen, der in sich weit und ger&#228;umig und mit den gro&#223;en Dingen, aus denen das wirkliche Leben besteht, in Beziehung ist. Nur der einzelne, der einsam ist, ist wie ein Ding unter die tiefen Gesetze gestellt, und wenn einer hinausgeht in den Morgen, der anhebt, oder hinaus in den Abend schaut, der voll Ereignis ist, und wenn er fühlt, was da geschieht, so f&#228;llt aller Stand von ihm ab, wie von einem Toten, obwohl er mitten in lauter Leben steht. Was Sie, lieber Herr Kappus, jetzt als Offizier erfahren müssen, Sie h&#228;tten es &#228;hnlich in jedem der bestehenden Berufe gefühlt, ja sogar wenn Sie, au&#223;erhalb jeder Stellung, mit der Gesellschaft allein leichte und selbst&#228;ndige Berührung gesucht h&#228;tten, würde ihnen dieses beengende Gefühlt nicht erspart geblieben sein. - Es ist überall so; aber das ist kein Grund zu Angst oder Traurigkeit; wenn keine Gemeinsamkeit zwischen den Menschen ist und Ihnen, versuchen Sie es, den Dingen nahe zu sein, die Sie nicht verlassen werden; noch sind die N&#228;chte da und die Winde, die durch die B&#228;ume gehen und über viele L&#228;nder; noch ist unter den Dingen und bei den Tieren alles voll Geschehen, daran Sie teilnehmen dürfen; und die Kinder sind noch so, wie Sie gewesen sind als Kind, so traurig und glücklich, - und wenn Sie an Ihre Kindheit denken, dann leben Sie wieder unter ihnen, unter den einsamen Kindern, und die Erwachsenen sind nichts, und ihre Würde hat keinen Wert.

Und wenn es Ihnen bang und qu&#228;lend ist, an die Kindheit zu denken und an das Einfache und Stille, das mit ihr zusammenh&#228;ngt, weil Sie an Gott nicht mehr glauben k&#246;nnen, der überall darin vorkommt, dann fragen Sie sich, lieber Herr Kappus, ob Sie Gott denn wirklich verloren haben. Ist es nicht vielmehr so, da&#223; Sie ihn noch nie besessen haben? Denn wann sollte das gewesen sein? Glauben Sie, ein Kind kann ihn halten, ihn, den M&#228;nner nur mit Mühe tragen und dessen Gewicht die Greise zusammendrückt? Glauben Sie, es k&#246;nnte, wer ihn wirklich hat, ihn verlieren wie einen kleinen Stein, oder meinen Sie nicht auch, wer ihn h&#228;tte, k&#246;nnte nur noch von ihm verloren werden? – Wenn Sie aber erkennen, da&#223; er in Ihrer Kindheit nicht war, und nicht vorher, wenn Sie ahnen, da&#223; Christus get&#228;uscht worden ist von seiner Sehnsucht und Muhammed betrogen von seinem Stolze, - und wenn Sie mit Schrecken fühlen, da&#223; er auch jetzt nicht ist, in dieser Stunde, da wir von ihm reden, - was berechtigt Sie dann, ihn, welcher niemals war, wie einen Vergangenen zu vermissen und zu suchen, als ob er verloren w&#228;re?

Warum denken Sie nicht, da&#223; er der Kommende ist, der von Ewigkeit her bevorsteht, der Zukünftige, die endliche Frucht eines Baumes, dessen Bl&#228;tter wir sind? Was h&#228;lt Sie ab, seine Geburt hinauszuwerfen in die werdenden Zeiten und Ihr Leben zu leben wie einen schmerzhaften und sch&#246;nen Tag in der Geschichte einer gro&#223;en Schwangerschaft? Sehen Sie denn nicht, wie alles, was geschieht, immer wieder Anfang ist, und k&#246;nnte es nicht Sein Anfang sein, da doch Beginn an sich immer so sch&#246;n ist? Wenn er der Vollkommenste ist, mu&#223; nicht Geringeres vor ihm sein, damit er sich ausw&#228;hlen kann aus Fülle und &#220;berflu&#223;? - Mu&#223; er nicht der Letzte sein, um alles in sich zu umfassen, und welchen Sinn h&#228;tten wir, wenn der, nach dem wir verlangen, schon gewesen w&#228;re?

Wie die Bienen den Honig zusammentragen, so holen wir das Sü&#223;este aus allem und bauen Ihn. Mit dem Geringen sogar, mit dem Unscheinbaren (wenn es nur aus Liebe geschieht) fangen wir an, mit der Arbeit und mit dem Ruhen hernach, mit einem Schweigen oder mit einer kleinen einsamen Freude, mit allem, was wir allein, ohne Teilnehmer und Anh&#228;nger tun, beginnen wir Ihn, den wir nicht erleben werden, so wenig unsere Vorfahren uns erleben konnten. Und doch sind sie, diese Langevergangenen, in uns, als Anlage, als Last auf unserem Schicksal, als Blut, das rauscht, und als Geb&#228;rde, die aufsteigt aus den Tiefen der Zeit.

Gibt es etwas, was Ihnen die Hoffnung nehmen kann, so einstens in Ihm, in dem Fernsten, &#196;u&#223;ersten zu sein?

Feiern Sie, lieber Herr Kappus, Weihnachten in diesem frommen Gefühl, da&#223; Er vielleicht gerade diese Lebensangst von Ihnen braucht, um zu beginnen; gerade diese Tage Ihres &#220;berganges sind vielleicht die Zeit, da alles in Ihnen an Ihm arbeitet, wie Sie schon einmal, als Kind, atemlos an Ihm gearbeitet haben. Seien Sie geduldig und ohne Unwillen und denken Sie, da&#223; das wenigste, was wir tun k&#246;nnen, ist, Ihm das Werden nicht schwerer zu machen, als die Erde es dem Frühling macht, wenn er kommen will.

Und seien Sie froh und getrost.
                                                                                                   
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Rainer Maria Rilke
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 楼主| 发表于 2009-4-4 22:25 | 显示全部楼层
第七封信

Rom, am 14. Mai 1904


MEIN LIEBER HERR KAPPUS,

es ist viel Zeit hingegangen, seit ich Ihren letzten Brief empfangen habe. Tragen Sie mir das nicht nach; erst war es Arbeit, dann St&#246;rung und endlich Kr&#228;nklichkeit, was mich immer wieder von dieser Antwort abhielt, die (so wollte ich es) aus ruhigen und guten Tagen zu Ihnen kommen sollte. Nun fühle ich mich wieder etwas wohler (der Frühlingsanfang mit seinen b&#246;sen, launischen &#220;berg&#228;ngen war auch hier arg zu fühlen) und komme dazu, Sie, lieber Herr Kappus, zu grü&#223;en und Ihnen (was ich so herzlich gerne tue) das und jenes auf Ihren Brief zu sagen, so gut ich es wei&#223;.

Sie sehen: ich habe Ihr Sonett abgeschrieben, weil ich fand, da&#223; es sch&#246;n und einfach ist und in der Form geboren, in der es mit so stillem Anstand geht. Es sind die besten von den Versen, die ich von Ihnen lesen durfte. Und nun gebe ich Ihnen jene Abschrift, weil ich wei&#223;, da&#223; es wichtig und voll neuer Erfahrung ist, eine eigene Arbeit in fremder Niederschrift wiederzufinden. Lesen Sie die Verse, als ob es fremde w&#228;ren, und Sie werden im Innersten fühlen, wie sehr es die Ihrigen sind. -

Es war eine Freude für mich, dieses Sonett und Ihren Brief oft zu lesen; ich danke Ihnen für beides.

Und sie dürfen sich nicht beirren lassen in Ihrer Einsamkeit, dadurch, da&#223; etwas in Ihnen ist, das sich herauswünscht aus ihr. Gerade dieser Wunsch wird Ihnen, wenn Sie ihn ruhig und überlegen und wie ein Werkzeug gebrauchen, Ihre Einsamkeit ausbreiten helfen über weites Land. Die Leute haben (mit Hilfe von Konventionen) alles nach dem Leichten hin gel&#246;st und nach des Leichten leichtester Seite; es ist aber klar, da&#223; wir uns an das Schwere halten müssen; alles Lebendige h&#228;lt sich daran, alles in der Natur w&#228;chst und wehrt sich nach seiner Art und ist ein Eigenes aus sich heraus, versucht es um jeden Preis zu sein und gegen allen Widerstand. Wir wissen wenig, aber da&#223; wir uns zu Schwerem halten müssen, ist eine Sicherheit, die uns nicht verlassen wird; es ist gut, einsam zu sein, denn Einsamkeit ist schwer; da&#223; etwas schwer ist, mu&#223; uns ein Grund mehr sein, es zu tun.

Auch zu lieben ist gut: denn Liebe ist schwer. Liebhaben von Mensch zu Mensch: das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das &#196;u&#223;erste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist. Darum k&#246;nnen junge Menschen, die Anf&#228;nger in allem sind, die Liebe noch nicht: sie müssen sie lernen. Mit dem ganzen Wesen, mit allen Kr&#228;ften, versammelt um ihr einsames, banges, aufw&#228;rts schlagendes Herz, müssen sie lieben lernen.

Lernzeit aber ist immer eine lange, abgeschlossene Zeit, und so ist Lieben für lange hinaus und weit ins Leben hinein -: Einsamkeit, gesteigertes und vertieftes Alleinsein für den, der liebt. Lieben ist zun&#228;chst nichts, was aufgehen, hingeben und sich mit einem Zweiten vereinen hei&#223;t (denn was w&#228;re eine Vereinigung von Ungekl&#228;rtem und Unfertigem, noch Ungeordnetem -?), es ist ein erhabener Anla&#223; für den einzelnen, zu reifen, in sich etwas zu werden, Welt zu werden, Welt zu werden für sich um eines anderen willen, es ist ein gro&#223;er, unbescheidener Anspruch an ihn, etwas, was ihn auserw&#228;hlt und zu Weitem beruft. Nur in diesem Sinne, als Aufgabe, an sich zu arbeiten (>zu horchen und zu h&#228;mmern Tag und Nacht<), dürften junge Menschen die Liebe, die ihnen gegeben wird, gebrauchen. Das Aufgehen und das Hingeben und alle Art der Gemeinsamkeit ist nicht für sie (die noch lange, lange sparen und sammeln müssen), ist das Endliche, ist vielleicht das, wofür Menschenleben jetzt noch kaum ausreichen.

Darin aber irren die jungen Menschen so oft und so schwer: da&#223; sie (in deren Wesen es liegt, keine Geduld zu haben) sich einander hinwerfen, wenn die Liebe über sie kommt, sich ausstreuen, so wie sie sind in all ihrer Unaufger&#228;umtheit, Unordnung, Wirrnis...: Was aber soll dann sein? Was soll das Leben an diesem Haufen von Halbzerschlagenem tun, den sie ihre Gemeinsamkeit hei&#223;en und den sie gerne ihr Glück nennen m&#246;chten, ginge es an, und ihre Zukunft? Da verliert jeder sich um des anderen willen und verliert den anderen und viele andere, die noch kommen wollten. Und verliert die Weiten und M&#246;glichkeiten, tauscht das Nahen und Fliehen leiser, ahnungsvoller Dinge gegen eine unfruchtbare Ratlosigkeit, aus der nichts mehr kommen kann; nichts als ein wenig Ekel, Entt&#228;uschung und Armut und die Rettung in eine der vielen Konventionen, die wie allgemeine Schutzhütten an diesem gef&#228;hrlichsten Wege in gro&#223;er Zahl angebracht sind. Kein Gebiet menschlichen Erlebens ist so mit Konventionen versehen wie dieses: Rettungsgürtel der verschiedensten Erfindung, Boote und Schwimmblasen sind da; Zuflüchte in jeder Art hat die gesellschaftliche Auffassung zu schaffen gewu&#223;t, denn da sie geneigt war, das Liebesleben als ein Vergnügen zu nehmen, mu&#223;te sie es auch leicht ausgestalten, billig, gefahrlos und sicher, wie &#246;ffentliche Vergnügungen sind.

Zwar fühlen viele junge Menschen, die falsch, d. h. einfach hingebend und uneinsam lieben (der Durchschnitt wird ja immer dabei bleiben -), das Drückende einer Verfehlung und wollen auch den Zustand, in den sie geraten sind, auf ihre eigene, pers&#246;nliche Art lebensf&#228;hig und fruchtbar machen -; denn ihre Natur sagt ihnen, da&#223; die Fragen der Liebe, weniger noch als alles, was sonst wichtig ist, &#246;ffentlich und nach dem und jenem &#220;bereinkommen gel&#246;st werden k&#246;nnen; da&#223; es Fragen sind, nahe Fragen von Mensch zu Mensch, die einer in jedem Fall neuen, besonderen, nur pers&#246;nlichen Antwort bedürfen -: aber wie sollten sie, die sich schon zusammengeworfen haben und sich nicht mehr abgrenzen und unterscheiden, die also nichts Eigenes mehr besitzen, einen Ausweg aus sich selbst heraus, aus der Tiefe der schon verschütteten Einsamkeit finden k&#246;nnen?

Sie handeln aus gemeinsamer Hilflosigkeit, und sie geraten, wenn sie dann, besten Willens, die Konvention, die ihnen auff&#228;llt (etwa die Ehe), vermeiden wollen, in die Fangarme einer weniger lauten, aber ebenso t&#246;dlichen konventionellen L&#246;sung; denn da ist dann alles, weithin um sie – Konvention; da, wo aus einer früh zusammengeflossenen, trüben Gemeinsamkeit gehandelt wird, ist jede Handlung konventionell: jedes Verh&#228;ltnis, zu dem solche Verwirrung führt, hat seine Konvention, mag es auch noch so ungebr&#228;uchlich (d.h. im gew&#246;hnlichen Sinn unmoralisch) sein; ja, sogar Trennung w&#228;re da ein konventioneller Schritt, ein unpers&#246;nlicher Zufallsentschlu&#223; ohne Kraft und ohne Frucht.

Wer ernst hinsieht, findet, da&#223;, wie für den Tod, der schwer ist, auch für die schwere Liebe noch keine Aufkl&#228;rung, keine L&#246;sung, weder Wink noch Weg erkannt worden ist; und es wird für diese beiden Aufgaben, die wir verhüllt tragen und weitergeben, ohne sie aufzutun, keine gemeinsame, in Vereinbarung beruhende Regel sich erforschen lassen. Aber in demselben Ma&#223;e, in dem wir beginnen, als einzelne das Leben zu versuchen, werden diese gro&#223;en Dinge uns, den einzelnen, in gr&#246;&#223;erer N&#228;he begegnen. Die Ansprüche, welche die schwere Arbeit der Liebe an unsere Entwicklung stellt, sind überlebensgro&#223;, und wir sind ihnen, als Anf&#228;nger, nicht gewachsen. Wenn wir aber doch aushalten und diese Liebe auf uns nehmen als Last und Lehrzeit, statt uns zu verlieren an all das leichte und leichtsinnige Spiel, hinter dem die Menschen sich vor dem ernstesten Ernst ihres Daseins verborgen haben, - so wird ein kleiner Fortschritt und eine Erleichterung denen, die lange nach uns kommen, vielleicht fühlbar sein; das w&#228;re viel.

Wir kommen ja doch eben erst dazu, das Verh&#228;ltnis eines einzelnen Menschen zu einem zweiten einzelnen vorurteilslos und sachlich zu betrachten, und unsere Versuche, solche Beziehung zu leben, haben kein Vorbild vor sich. Und doch ist in dem Wandel der Zeit schon manches, das unserer zaghaften Anf&#228;ngerschaft helfen will.

Das M&#228;dchen und die Frau, in ihrer neuen, eigenen Entfaltung, werden nur vorübergehend Nachahmer m&#228;nnlicher Unart und Art und Wiederholer m&#228;nnlicher Berufe sein. Nach der Unsicherheit solcher &#220;berg&#228;nge wird sich zeigen, da&#223; die Frauen durch die Fülle und den Wechsel jener (oft l&#228;cherlichen) Verkleidungen nur gegangen sind, um ihr eigenstes Wesen von den entstellenden Einflüssen des anderen Geschlechts zu reinigen. Die Frauen, in denen unmittelbarer, fruchtbarer und vertrauensvoller das Leben verweilt und wohnt, müssen ja im Grunde reifere Menschen geworden sein, menschlichere Menschen als der leichte, durch die Schwere keiner leiblichen Frucht unter die Oberfl&#228;che des Lebens herabgezogene Mann, der, dünkelhaft und hastig, untersch&#228;tzt, was er zu lieben meint. Dieses in Schmerzen und Erniedrigungen ausgetragene Menschentum der Frau wird dann, wenn sie die Konventionen der Nur-Weiblichkeit in den Verwandlungen ihres &#228;u&#223;eren Standes abgestreift haben wird, zutage treten, und die M&#228;nner, die es heute noch nicht kommen fühlen, werden davon überrascht und geschlagen werden.
Eines Tages (wofür jetzt, zumal in den nordischen L&#228;ndern, schon zuverl&#228;ssige Zeichen sprechen und leuchten), eines Tages wird das M&#228;dchen da sein und die Frau, deren Name nicht mehr nur einen Gegensatz zum M&#228;nnlichen bedeuten wird, sondern etwas für sich, etwas, wobei man keine Erg&#228;nzung und Grenze denkt, nur an Leben und Dasein -: der weibliche Mensch.

Dieser Fortschritt wird das Liebe-Erleben, das jetzt voll Irrung ist (sehr gegen den Willen der überholten M&#228;nner zun&#228;chst), verwandeln, von Grund aus ver&#228;ndern, zu einer Beziehung umbilden, die von Mensch zu Mensch gemeint ist, nicht mehr von Mann zu Weib. Und diese menschlichere Liebe (die unendlich rücksichtsvoll und leise, und gut und klar in Binden und L&#246;sen sich vollziehen wird) wird jener &#228;hneln, die wir ringend und mühsam vorbereiten, der Liebe, die darin besteht, da&#223; zwei Einsamkeiten einander schützen, grenzen und grü&#223;en.

Und das noch: Glauben Sie nicht, da&#223; jene gro&#223;e Liebe, welche Ihnen, dem Knaben, einst auferlegt worden ist, verloren war; k&#246;nnen Sie sagen, ob damals nicht gro&#223;e und gute Wünsche in Ihnen gereift sind und Vors&#228;tze, von denen Sie heute noch leben? Ich glaube, da&#223; jene Liebe so stark und m&#228;chtig in Ihrer Erinnerung bleibt, weil sie Ihr erstes tiefes Alleinsein war und die erste innere Arbeit, die Sie an Ihrem Leben getan haben. Alle guten Wünsche für Sie, lieber Herr Kappus!
                                                                                                   
                                                                                                       Ihr:
Rainer Maria Rilke





Sonett

Durch mein Leben zittert ohne Klage,
ohne Seufzer ein tiefdunkles Weh.
Meiner Tr&#228;ume reiner Blütenschnee
Ist die Weihe meiner stillsten Tage.

&#214;fter aber kreuzt die gro&#223;e Frage
Meinen Pfad. Ich werde klein und geh
Kalt vorüber wie an einem See,
dessen Flut ich nicht zu messen wage.

Und dann sinkt ein Leid auf mich, so trübe
Wie das Grau glanzarmer Sommern&#228;chte,
die ein Stern durchflimmert dann und wann -:

Meine H&#228;nde tasten dann nach Liebe,
weil ich gerne Laute beten m&#246;chte,
die mein hei&#223;er Mund nicht finden kann...

(Franz Xaver Kappus)
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 楼主| 发表于 2009-4-4 22:25 | 显示全部楼层
本帖最后由 澄澈 于 2009-4-4 23:26 编辑

第八封信

Borgeby g&#229;rd, Fl&#228;die, Schweden,
                                                                         am 12. August 1904

Ich will wieder eine Weile zu Ihnen reden, lieber Herr Kappus, obwohl ich fast nichts sagen kann, was hilfreich ist, kaum etwas Nützliches. Sie haben viele und gro&#223;e Traurigkeiten gehabt, die vorübergingen. Und Sie sagen, da&#223; auch dieses Vorübergehen schwer und verstimmend für Sie war. Aber, bitte, überlegen Sie, ob diese gro&#223;en Traurigkeiten nicht vielmehr mitten durch Sie durchgegangen sind? Ob nicht vieles in Ihnen sich verwandelt hat, ob Sie nicht irgendwo, an irgendeiner Stelle Ihres Wesens sich ver&#228;ndert haben, w&#228;hrend Sie traurig waren? Gef&#228;hrlich und schlecht sind nur jene Traurigkeiten, die man unter die Leute tr&#228;gt, um sie zu übert&#246;nen; wie Krankheiten, die oberfl&#228;chlich und t&#246;richt behandelt werden, treten sie nur zurück und brechen nach einer kleinen Pause um so furchtbarer aus; und sammeln sich an im Innern und sind Leben, sind ungelebtes, verschm&#228;htes, verlorenes Leben, an dem man sterben kann. W&#228;re es uns m&#246;glich, weiter zu sehen, als unser Wissen reicht, und noch ein wenig über die Vorwerke unseres Ahnens hinaus, vielleicht würden wir dann unsere Traurigkeiten mit gr&#246;&#223;erem Vertrauen ertragen als unsere Freuden. Denn sie sind die Augenblicke, da etwas Neues in uns eingetreten ist, etwas Unbekanntes; unsere Gefühle verstummen in scheuer Befangenheit, alles in uns tritt zurück, es entsteht eine Stille, und das Neue, das niemand kennt, steht mitten darin und schweigt.

Ich glaube, da&#223; fast alle unsere Traurigkeiten Momente der Spannung sind, die wir als L&#228;hmung empfinden, weil wir unsere befremdeten Gefühle nicht mehr leben h&#246;ren. Weil wir mit dem Fremden, das bei uns eingetreten ist, allein sind, weil uns alles Vertraute und Gewohnte für einen Augenblick fortgenommen ist; weil wir mitten in einem &#220;bergang stehen, wo wir nicht stehen bleiben k&#246;nnen. Darum geht die Traurigkeit auch vorüber: das Neue in uns, das Hinzugekommene, ist in unser Herz eingetreten, ist in seine innerste Kammer gegangen und ist auch dort nicht mehr, - ist schon im Blut. Und wir erfahren nicht, was es war. Man k&#246;nnte uns leicht glauben machen, es sei nichts geschehen, und doch haben wir uns verwandelt, wie ein Haus sich verwandelt, in welches ein Gast eingetreten ist. Wir k&#246;nnen nicht sagen, wer gekommen ist, wir werden es vielleicht nie wissen, aber es sprechen viele Anzeichen dafür, da&#223; die Zukunft in solcher Weise in uns eintritt, um sich in uns zu verwandeln, lange bevor sie geschieht. Und darum ist es so wichtig, einsam und aufmerksam zu sein, wenn man traurig ist: weil der scheinbar ereignislose und starre Augenblick, da unsere Zukunft uns betritt, dem Leben so viel n&#228;her steht als jener andere laute und zuf&#228;llige Zeitpunkt, da sie uns, wie von au&#223;en her, geschieht. Je stiller, geduldiger und offener wir als Traurige sind, um so tiefer und um so unbeirrter geht das Neue in uns ein, um so besser erwerben wir es, um so mehr wird es unser Schicksal sein, und wir werden uns ihm, wenn es eines sp&#228;teren Tages >geschieht< (das hei&#223;t: aus uns heraus zu den anderen tritt), im Innersten verwandt und nahe fühlen. Und das ist n&#246;tig. Es ist n&#246;tig - und dahin wird nach und nach unsere Entwicklung gehen -, da&#223; uns nichts Fremdes widerfahre, sondern nur das, was uns seit lange geh&#246;rt. Man hat schon so viele Bewegungs-Begriffe umdenken müssen, man wird auch allm&#228;hlich erkennen lernen, da&#223; das, was wir Schicksal nennen, aus den Menschen heraustritt, nicht von au&#223;en her in sie hinein. Nur weil so viele ihre Schicksale, solange sie in ihnen lebten, nicht aufsaugten und in sich selbst verwandelten, erkannten sie nicht, was aus ihnen trat; es war ihnen so fremd, da&#223; sie, in ihrem wirren Schrecken, meinten, es müsse gerade jetzt in sie eingegangen sein, denn sie beschworen, vorher nie &#196;hnliches in sich gefunden zu haben. Wie man sich lange über die Bewegung der Sonne get&#228;uscht hat, so t&#228;uscht man sich immer noch über die Bewegung des Kommenden. Die Zukunft steht fest, lieber Herr Kappus, wir aber bewegen uns im unendlichen Raume.

Wie sollten wir es nicht schwer haben?

Und wenn wir wieder von der Einsamkeit reden, so wird immer klarer, da&#223; das im Grunde nichts ist, was man w&#228;hlen oder lassen kann. Wir sind einsam. Man kann sich darüber t&#228;uschen und tun, als w&#228;re es nicht so. Das ist alles. Wieviel besser ist es aber, einzusehen, da&#223; wir es sind, ja geradezu, davon auszugehen. Da wird es freilich geschehen, da&#223; wir schwindeln; denn alle Punkte, worauf unser Auge zu ruhen pflegte, werden uns fortgenommen, es gibt nichts Nahes mehr, und alles Ferne ist unendlich fern. Wer aus seiner Stube, fast ohne Vorbereitung und &#220;bergang, auf die H&#246;he eines gro&#223;en Gebirges gestellt würde, mü&#223;te &#196;hnliches fühlen: eine Unsicherheit ohnegleichen, ein Preisgegebensein an Namenloses würde ihn fast vernichten. Er würde vermeinen zu fallen oder sich hinausgeschleudert glauben in den Raum oder in tausend Stücke auseinandergesprengt: welche ungeheure Lüge mü&#223;te sein Gehirn erfinden, um den Zustand seiner Sinne einzuholen und aufzukl&#228;ren. So ver&#228;ndern sich für den, der einsam wird, alle Entfernungen, alle Ma&#223;e; von diesen Ver&#228;nderungen gehen viele pl&#246;tzlich vor sich, und wie bei jenem Mann auf dem Berggipfel entstehen dann ungew&#246;hnliche Einbildungen und seltsame Empfindungen, die über alles Ertr&#228;gliche hinauszuwachsen scheinen. Aber es ist notwendig, da&#223; wir auch das erleben. Wir müssen unser Dasein so weit,als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerh&#246;rte, mu&#223; darin m&#246;glich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufkl&#228;rbarsten, das uns begegnen kann. Da&#223; die Menschen in diesem Sinne feige waren, hat dem Leben unendlichen Schaden getan; die Erlebnisse, die man >Erscheinungen< nennt, die ganze sogenannte >Geisterwelt<, der Tod, alle diese uns so anverwandten Dinge, sind durch die t&#228;gliche Abwehr aus dem Leben so sehr hinausgedr&#228;ngt worden, da&#223; die Sinne, mit denen wir sie fassen k&#246;nnten, verkümmert sind. Von Gott gar nicht zu reden. Aber die Angst vor dem Unaufkl&#228;rbaren hat nicht allein das Dasein des einzelnen &#228;rmer gemacht, auch die Beziehungen von Mensch zu Mensch sind durch sie beschr&#228;nkt, gleichsam aus dem Flu&#223;bett unendlicher M&#246;glichkeiten herausgehoben worden auf eine brache Uferstelle, der nichts geschieht. Denn es ist nicht die Tr&#228;gheit allein, welche macht, da&#223; die menschlichen Verh&#228;ltnisse sich so uns&#228;glich eint&#246;nig und unerneut von Fall zu Fall wiederholen, es ist die Scheu vor irgendeinem neuen, nicht absehbaren Erlebnis, dem man sich nicht gewachsen glaubt. Aber nur wer auf alles gefa&#223;t ist, wer nichts, auch das R&#228;tselhafteste nicht, ausschlie&#223;t, wird die Beziehung zu einem andren als etwas Lebendiges leben und wird selbst sein eigenes Dasein aussch&#246;pfen. Denn wie wir dieses Dasein des einzelnen als einen gr&#246;&#223;eren oder kleineren Raum denken, so zeigt sich, da&#223; die meisten nur eine Ecke ihres Raumes kennen lernen, einen Fensterplatz, einen Streifen, auf dem sie auf und nieder gehen. So haben sie eine gewisse Sicherheit. Und doch ist jene gefahrvolle Unsicherheit so viel menschlicher, welche die Gefangenen in den Geschichten Poes dr&#228;ngt, die Formen ihrer fürchterlichen Kerker abzutasten und den uns&#228;glichen Schrecken ihres Aufenthaltes nicht fremd zu sein. Wir aber sind nicht Gefangene. Nicht Fallen und Schlingen sind um uns aufgestellt, und es gibt nichts, was uns &#228;ngstigen oder qu&#228;len sollte. Wir sind ins Leben gesetzt, als in das Element, dem wir am meisten entsprechen, und wir sind überdies durch jahrtausendelange Anpassung diesem Leben so &#228;hnlich geworden, da&#223; wir, wenn wir stille halten, durch ein glückliches Mimikry von allem, was uns umgibt, kaum zu unterscheiden sind. Wir haben keinen Grund, gegen unsere Welt Mi&#223;trauen zu haben, denn sie ist nicht gegen uns. Hat sie Schrecken, so sind es unsere Schrecken, hat sie Abgründe, so geh&#246;ren diese Abgründe uns, sind Gefahren da, so müssen wir versuchen, sie zu lieben.
Und wenn wir nur unser Leben nach jenem Grundsatz einrichten, der uns r&#228;t, da&#223; wir uns immer an das Schwere halten müssen, so wird das, welches uns jetzt noch als das Fremdeste erscheint, unser Vertrautestes und Treuestes werden. Wie sollten wir jener alten Mythen vergessen k&#246;nnen, die am Anfange aller V&#246;lker stehen, der Mythen von den Drachen, die sich im &#228;u&#223;ersten Augenblick in Prinzessinnen verwandeln; vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal sch&#246;n und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will.

Da dürfen Sie, lieber Herr Kappus, nicht erschrecken, wenn eine Traurigkeit vor Ihnen sich aufhebt, so gro&#223;, wie Sie noch keine gesehen haben; wenn eine Unruhe, wie Licht und Wolkenschatten, über Ihre H&#228;nde geht und über all Ihr Tun. Sie müssen denken, da&#223; etwas an Ihnen geschieht, da&#223; das Leben Sie nicht vergessen hat, da&#223; es Sie in der Hand h&#228;lt; es wird Sie nicht fallen lassen. Warum wollen Sie irgendeine Beunruhigung, irgend ein Weh, irgendeine Schwermut von Ihrem Leben ausschlie&#223;en, da Sie doch nicht wissen, was diese Zust&#228;nde an Ihnen arbeiten? Warum wollen Sie sich mit der Frage verfolgen, woher das alles kommen mag und wohin es will? Da Sie doch wissen, da&#223; sie in den &#220;berg&#228;ngen sind, und nichts so sehr wünschten, als sich zu verwandeln. Wenn etwas von Ihren Vorg&#228;ngen krankhaft ist, so bedenken Sie doch, da&#223; die Krankheit das Mittel ist, mit dem ein Organismus sich von Fremdem befreit; da mu&#223; man ihm nur helfen, krank zu sein, seine ganze Krankheit zu haben und auszubrechen, denn das ist sein Fortschritt. In Ihnen, lieber Herr Kappus, geschieht jetzt so viel; Sie müssen geduldig sein wie ein Kranker und zuversichtlich wie ein Genesender; denn vielleicht sind Sie beides. Und mehr: Sie sind auch der Arzt, der sich zu überwachen hat. Aber da gibt es in jeder Krankheit viele Tage, da der Arzt nichts tun kann als abwarten. Und das ist es, was Sie, soweit Sie Ihr Arzt sind, jetzt vor allem tun müssen.

Beobachten Sie sich nicht zu sehr. Ziehen Sie nicht zu schnelle Schlüsse aus dem, was Ihnen geschieht; lassen Sie es sich einfach geschehen. Sie kommen sonst zu leicht dazu, mit Vorwürfen (das hei&#223;t: moralisch) auf Ihre Vergangenheit zu schauen, die natürlich an allem, was Ihnen jetzt begegnet, mitbeteiligt ist. Was aus den Irrungen, Wünschen und Sehnsüchten Ihrer Knabenzeit in Ihnen wirkt, ist aber nicht das, was Sie erinnern und verurteilen. Die au&#223;ergew&#246;hnlichen Verh&#228;ltnisse einer einsamen und hilflosen Kindheit sind so schwer, so kompliziert, so vielen Einflüssen preisgegeben und zugleich so ausgel&#246;st aus allen wirklichen Lebenszusammenh&#228;ngen, da&#223;, wo ein Laster in sie eintritt, man es nicht ohne weiteres Laster nennen darf. Man mu&#223; überhaupt mit den Namen so vorsichtig sein; es ist so oft der Name eines Verbrechens, an dem ein Leben zerbricht, nicht die namenlose und pers&#246;nliche Handlung selbst, die vielleicht eine ganz bestimme Notwendigkeit dieses Lebens war und von ihm ohne Mühe aufgenommen werden k&#246;nnte. Und der Kraft-Verbrauch scheint Ihnen nur deshalb so gro&#223;, weil Sie den Sieg übersch&#228;tzen; nicht er ist das >Gro&#223;e<, das Sie meinen geleistet zu haben, obwohl Sie recht haben mit Ihrem Gefühl; das Gro&#223;e ist, da&#223; schon etwas da war, was Sie an Stelle jenes Betruges setzen durften, etwas Wahres und Wirkliches. Ohne dieses w&#228;re auch Ihr Sieg nur eine moralische Reaktion gewesen, ohne weite Bedeutung, so aber ist er ein Abschnitt Ihres Lebens geworden. Ihres Lebens, lieber Herr Kappus, an das ich mit so vielen Wünschen denke. Erinnern Sie sich, wie sich dieses Leben aus der Kindheit heraus nach dem >Gro&#223;en< gesehnt hat? Ich sehe, wie es sich jetzt von den Gro&#223;en fort nach den Gr&#246;&#223;eren sehnt. Darum h&#246;rt es nicht auf, schwer zu sein, aber darum wird es auch nicht aufh&#246;ren zu wachsen.

Und wenn ich Ihnen noch eines sagen soll, so ist es dies: Glauben Sie nicht, da&#223; der, welcher Sie zu tr&#246;sten versucht, mühelos unter den einfachen und stillen Worten lebt, die Ihnen manchmal wohltun. Sein Leben hat viel Mühsal und Traurigkeit und bleibt weit hinter Ihnen zurück. W&#228;re es aber anders, so h&#228;tte er jene Worte nie finden k&#246;nnen.
                                                                                                   
                                                                                                       Ihr:
Rainer Maria Rilke
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