澄澈 发表于 2009-1-13 17:41

Solange wir Augen haben für die Schönheit

von Kathleen B. Granger


Für meinen Vater bedeutete Malen alles. Erst dann kamen Mutter, er selber, ja sogar wir Kinder. Ich bin überzeugt, daß Vater, wäre er je vor die grausame Wahl gestellt worden, uns verlassen und an seiner Kunst festgehalten hätte. Ein Leben ohne seine Familie wäre trostlos gewesen, aber leben, ohne zu malen, war undenkbar für ihn.
    Zufällig hörte ich einmal, wie ein Freund ihm Vorhaltungen machte. „Natürlich liebe ich meine Frau und meine Kinder!“ erwiderte er unwirsch. „Wir entbehren nichts und leiden auch keine Not. Solange wir Augen haben für die Schönheit, ist ...“ Ihm fehlten die Worte. Er war außerstande auszudrücken, was uns selbstverständlich erschien: Daß er uns durch sein Leben für die Kunst etwas weit Wertvolleres gab als bloße materielle Annehmlichkeiten -etwas, was unser Dasein unendlich viel reicher machte.
    Für Kinder, die in einem solchen Milieu aufwuchsen, war es nichts Absonderliches, daß Kunst und Künstler das Thema fast jeder Unterhaltung bildeten, daß immer ein halbfertiges Bild auf der Staffelei stand und alle Zimmer intensiv nach Terpentin rochen. Auch erschien es uns gar nicht schlimm oder aufregend, daß wir jedes Jahr im April, wenn wir aufs Land zogen, die Schule wechseln mußten, und im November dann wieder, wenn wir zurückkehrten in die Stadt – selten in die frühere Wohnung, die alte Schule, oft sogar in ein anderes Land.
    In Frankreich zum Beispiel, wo wir während meiner Kindheit, mehrere Jahre zubrachten, vertauschten wir, kam der April, Paris mit Giverny, einer kleinen Ortschaft in der Normandie. Die Hauptstraße war nur die Fortsetzung der staubigen Chaussee, die ab und zu enge Dorfstraßen kreuzten, flankiert von Häuserfronten und hohen Mauern. Giverny hatte absolut nichts Besonderes – außer daß Claude Monet dort wohnte, der große französische Impressionist, das Idol meines Vaters und aller anderen jungen Künstler, die dorthin kamen, um zu malen. Monet pflegte keinen Umgang mit ihnen; er lebte völlig zurückgezogen. Doch dem Malervölkchen genügte es, nur in seiner Nähe zu sein, die gleichen Heuschober zu sehen, die gleiche Luft zu atmen wie er.
    Ab und zu bekam Monet Besuch von seiner Enkelin, und als gleichaltrige kleine Amerikanerin wurde ich eingeladen, den Tag über mit ihr zu spielen. Hinterher fragten mich meine Eltern jedesmal aus. Ob ich Monets Bilder gesehen hätte? Wie er denn sei?
    Doch ich konnte ihnen bloß von einem freundlichen alten Herrn erzählen, der zwei kleine Mädchen bei der Hand nahm, sie die glattgeharkten Kieswege seines Gartens entlangführte, ihnen die bunten Rabatten zeigte, wo lange Blumenreihen in allen Regenbogenfarben leuchteten, der zuweilen stehenblieb und voller Entzücken auf die wechselnden Lichter und Schatten, die Schönheit der kontrastierenden Farben deutete. „Aber die Bilder?!“ fragte mein Vater dann. „Hast du nicht seine Bilder gesehen?“
    Ah ja, antwortete ich leichthin, da seien viele Bilder gewesen, überall an den Wänden, bis hinauf zur Decke. Doch ich war ja an Bilder gewöhnt, und die dort hatten mir keinen besonderen Eindruck gemacht. Welche Enttäuschung für meinen Vater! Eine solche Gelegenheit, vertan an ein Kind!

澄澈 发表于 2009-1-13 17:43

Mein Bruder, meine Schwester und ich hatten nur wenige Spielgefährten in Giverny, aber einsam fühlten wir uns nie. Wir hatten ja Phantasie und in unseren Eltern gute Kameraden. Wandern war unser Hauptvergnügen. Wenn wir an den Hecken entlangzogen, die die kleinen Felder einfaßten, blieb Vater oft plötzlich stehen, formte mit gewölbten Händen eine Art Bildrahmen, schaute hindurch und rief: „Das muß ich malen!“
    Mutter starrte entsetzt hinüber, beinahe beleidigt. „Die alte Bude da? Wie abscheulich! Sogar der Baum ist schon abgestorben.“
    „Ein Sujet muß nicht immer hübsch sein, um schön zu sein. Die Form, die Austrahlung, die Konturen, vielleicht auch nur die Farbe ...“ Er hob hilflos die Hände, ihm fehlten wieder die Worte.
    Dann sprach er enthusiastisch weiter über sein Lieblingsthema, während wir Kinder uns ins Gras legten, unbewußt all das, was er sagte, aufnahmen und so in unserer Liebe zu allem Schönen bestärkt wurden.
    Diese Ausflüge waren ein wesentlicher Bestandteil seiner Religiosität. Mein Vater empfand eine tiefe Ehrfurcht für alles, was natürlich und schön war. Wenn unsere Mutter darauf drängte, wir Kinder sollten in die Kirche gehen – in irgendeine! -, dann widersprach er; ein Gang durch die Felder offenbare mehr von Gottes Wesen als das meiste, was die Menschen so laut darüber predigten. Beim Malen draußen im Freien fühlte er sich ganz im Einklang mit dem Bibelwort: „Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe, es war sehr gut.“ Auch für meinen Vater war die Welt, wie er sie mit seinen Künstleraugen ansah, „sehr gut“ und voller Schönheit, und er versuchte, das an seine Kinder weiterzugeben. Manchmal hob er einen Stein auf und gab ihn uns mit den Worten: „Stellt euch mal vor! Milliarden Jahre halten wir hier in unseren Händen! Schaut nur, wie glatt er geschliffen ist – und schaut euch das Muster der Farbäderchen an!“ Wir trugen den Kiesel eine Weile bei uns, und er weckte in uns den Sinn für das Ungewöhnliche und Wundersame, der gegen alle Langeweile gefeit macht.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5c/Claude_Monet,_Impression,_soleil_levant,_1872.jpg

澄澈 发表于 2009-1-13 17:45

Beim Malen bevorzugte mein Vater helle, lebhafte Farben und konzentrierte sich auf Frühlings- und Herbstlandschaften, wenn die Natur ihr buntestes Kleid trug; die übrigen Monate widmete er der Porträtmalerei und dem Unterrichten. Wenn ich ihm zusah, wünschte ich mir sehnlichst, auch in Öl malen zu können. Wasserfarben hielt ich für Spielerei – damit hatte ich schon von Kind auf herumgetuscht. Mein Vater verstand mich. Oft durfte ich, wenn er mit seinem Tagespensum fertig war, seine Pinsel auswaschen, zerdrückte dabei reizende, schaumige Farbklümpchen zwischen den Fingerspitzen und spülte sie unter klarem Wasser ab.
    Endlich schenkte er mir eines Tages einen kleinen Malkasten samt Palette, ein paar Pinsel und noch halbvolle Tuben mit Ölfarben. „Sind keine alten, strubbligen Pinsel“, betonte er. „Und die Farben sind genau die gleichen, die ich verwende. An solchen Dingen darf ein Künstler nie sparen. Am Essen und an Kleidung, ja, da kann er auf vieles verzichten, aber sein Handwerkszeug muß das Beste vom Besten sein. Und so lernte ich: Man kann auf manches verzichten um eines lohnenderen Zieles willen.
    So zogen wir zum erstenmal los, er hatte Malkasten und Staffelei über die Schulter geschnallt, unterm Arm die Leinwand und den großen weißen Sonnenschirm, ich mit meiner kleinen Leinwand und meinem kleinen Kasten. Nach einer halben Stunde fand er ein Motiv, das ihm gefiel, einBauerngehöft, legte seine Ausrüstung ab, stand und schaute, studierte es eingehend. Dann stellte er seine Staffelei auf, drückte frische Farben aus und zeigte mir, wo ich meine auf der Palette ansetzen sollte. Dicke Klumpen mußten es sein, damit wir großzügig, aus dem vollen malen konnten, nicht kleinlich und zaghaft. Keine schwarzen und braunen Töne, sondern, leuchtendes Schwefelgelb, Smaragdgrün, Ultramarin und Kobaltblau, Krapprot und Weiß: ungebrochene Farben, um das helle, kraftvolle Kolorit hineinzubringen, das er so liebte. Seite an Seite malten wir und sprachen kein Wort.
    Vater fing das glimmernde Sonnenlicht dieses Frühsommertages und das Idyllische des Bauernhofs in seinem Bild ein. Ich wählte mir eins der kleinen Entlein als Modell und war bald mit meinem Kunstwerk zufrieden. Stillschweigend schlich ich mich davon, um zu spielen. Viel später, als er fertig war, rief mein Vater mich. Gemeinsam schauten wir uns mein Bild prüfend an. Nach kurzer Betrachtung sagte er: „Man sieht, es hat dir wirklich Freude gemacht.“
    Ein gütiges Lächeln lag auf seinem Gesicht, und ein Gefühl des Glücks erfüllte mich. „Dein Gras ist saftig und grün, und auch das Küken hast du sehr gut getroffen.“ Dann sagte er sachlich: „Wenn du eine Kamera hättest, könntest du ja rasch ein Bild von dem Entlein knipsen und sagen, es sähe ihm genau ähnlich. Aber“ – er machte eine Kunstpause, schaute mich mit schiefgelegtem Kopf an – „eine Kamera hat kein Herz. Sie fühlt nichts. Doch ein Künstler muß mit den Augen und mit dem Herzen sehen. Man muß lieben, was man malt.“
    Sein Gesicht strahlte in tausend Fältchen vor Zärtlichkeit, seine Hände wölbten sich behutsam wie um etwas Unsichtbares. Er nahm noch einmal Pinsel und Palette, blickte zu der kleinen Entenschar auf der Tenne hinüber. „Sieh mal, wie der Wind in das flaumige Gefieder des Entenköpfchens pustet und wie das Sonnenlicht mit dem Gelb seiner Brust ineinanderfließt. Es ist warm und weich wie ein Klacks zerlassener Butter, in dem man mit dem Finger rühren kann. Versuchen wir mal, so ein Fleckchen hinzuzaubern.“ Mit unendlicher Geduld und Freude tupfte er es hin, sprach dabei immer weiter und veranschaulichte mir alles mit lebhaften Handbewegungen.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/aa/Claude_Monet_-_Water_Lilies_-_1906,_Ryerson.jpg

[ 本帖最后由 澄澈 于 2009-1-14 10:51 编辑 ]

澄澈 发表于 2009-1-13 17:46

Oft begleitete ich ihn in jenem Frühsommer, hörte und schaute ihm zu; und allmählich lernte ich, daß es weit mehr zu sehen gab, als es auf den ersten Blick schien. „Setz dich mal dorthin“, sagte er, mit seiner Faust voller Pinsel auf die Stelle deutend, „und schau dir einen Baum an. Schau ihn dir gründlich an; du wirst nie zwei gleiche finden. Betrachte ihn genau von den Wurzeln bis zur Krone. Du mußt herausbringen, was seine besondere Eigenart ausmacht, was ihn von jedem anderen unterscheidet. Dann wirst du ihn nach und nach verstehen; ihn lieben. Und dann kannst du ihn malen.“ Immer war für meinen Vater künstlerisches Schaffen gleichbedeutend mit Lieben und Verstehen.
    Mit den Jahren wurden mir seine Worte immer klarer. Ein Baum, ein Gesicht, eine lang vertraute Landschaft erschienen mir plötzlich schön, und ich erinnerte mich, wie oft er nach Worten gesucht hatte, die mir erklären sollten, was alle Künstler wissen: Wahres Sehen heißt Verstehen.
    Während der Weltwirtschaftskrise von 1929 war mein Mann gleich vielen anderen ohne Arbeit. Wir hatten drei kleine Kinder und kein Einkommen, außer dem wenige, was ich im Rahmen eines von der Regierung geförderten Programms für mittellose Künstler durch Malen zu Hause verdiente. Aber damals kam mir zum erstenmal unser Familienleben normal vor. Endlich hatten wir Zeit, im benachbarten Park spazierenzugehen oder in unserem Gärtchen zu sitzen. Ich war zur Sparsamkeit erzogen; sie hatte in meinem Elternhaus nie als Zeichen der Armut gegolten, und auch in meinem Haushalt ließ ich sie als solches nicht gelten.
    Trotz aller Sorgen waren wir glücklich – mit einem neuen Sinn dafür, in unserer Alltagswelt immer neue Entdeckungen zu machen. Sie war ein unerschöpflicher Quell wundersamer Dinge, die in Rosa, Gelb oder feurigem Rot prangten. Die Schatten an Häusern, an Steinen und auf Straßen waren keine tristen Grautöne, sondern heiteres Lila, Violett und Veilchenblau. Manchmal, wenn ich die Blätter eines Strauches ansah, ein Wunderwerk kleiner Spiegel, die den Sonnenschein in mattschimmernden farbigen Lichtern oder wie funkensprühende Diamantensplitter zurückwarfen, durchflutete mich jäh eine Woge der Beschwingtheit, und tiefe Daseinsfreude erfüllte mich.
    Der Zwang zu strenger Sparsamkeit hat bei uns schon lange aufgehört. Aber die Gabe, sich an den Schönheiten des Alltags zu erfreuen, ist uns geblieben. Als mein Mann und ich vor einige Jahren von einem Aufenthalt in Europa zurückkamen, waren die Schätze, die wir heimbrachten, kleine wertlose Dinge: eine Handvoll glatter, ovaler Steine von einem Strand in Spanien, ein vertrockneter Blütenzweig aus Pompeji, ein paar Pastellskizzen, die wir gezeichnet hatten, statt Photos zu knipsen.
    Ich denke oft an meinen Vater zurück – wie er, jung, unbekannt, lernbegierig, den Blick hoch über die Trivialität des Existenzkampfs und der Armut richtet und nur die Herrlichkeit der Welt um sich sah. Dank ihm ist mir das ganze Leben immer wie ein Lied gewesen.

[ 本帖最后由 澄澈 于 2009-1-14 10:52 编辑 ]

woodpecker111 发表于 2009-1-14 10:28

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aimuxurong 发表于 2009-1-14 20:49

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oktoberlucy 发表于 2009-1-15 14:39

收藏了,慢慢学习$送花$

iamshirley 发表于 2009-1-15 23:56

莫奈的“印象 日出”。。。

呵呵,记得本科时有一次人文讲座,老师以这幅画为例,问大家对画面的直观感受:是“日落”呢,还是“日出”?:)

iamshirley 发表于 2009-1-16 00:25

一篇美文,学习了 $送花$ $送花$


摘了一些句子出来

- Ein Sujet muß nicht immer hübsch sein, um schön zu sein.

-(Er)empfand eine tiefe Ehrfurcht für alles, was natürlich und schön war.

- Am Essen und an Kleidung, ja, da kann er auf vieles verzichten, aber sein Handwerkszeug muß das Beste vom Besten sein.

- Doch ein Künstler muß mit den Augen und mit dem Herzen sehen. Man muß lieben, was man malt.

- Du mußt herausbringen, was seine besondere Eigenart ausmacht, was ihn von jedem anderen unterscheidet. Dann wirst du ihn nach und nach verstehen; ihn lieben. Und dann kannst du ihn malen.... Wahres Sehen heißt Verstehen.

- Manchmal, wenn ich die Blätter eines Strauches ansah, ein Wunderwerk kleiner Spiegel, die den Sonnenschein in mattschimmernden farbigen Lichtern oder wie funkensprühende Diamantensplitter zurückwarfen, durchflutete mich jäh eine Woge der Beschwingtheit, und tiefe Daseinsfreude erfüllte mich.

不由想到这句话: Die Augen sind der Spiegel der Seele.

隐约也记起了这句:“你未看此花时,此花与汝同归于寂;你来看此花时,则此花颜色一时明白起来,便知此花不在你的心外。”
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